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Alle meine Anteile: der Arschengel

 

Inhaltsverzeichnis

 

Der arschige Anteile in jedem von uns

Hand aufs Herz. Haben Sie sich noch nie arschig verhalten? Wahrscheinlich wird sich kein Mensch finden, der noch nie ein Arsch zu jemand anders (und auch zu sich selbst) war. Willkommen im Club! Im Club der Arschengel. Was auf der psychischen Ebene wie ein Gift erscheint, kann für die Seelenentwicklung wie pures Heilmittel wirken, sofern man sich darauf einlässt. Und so bringt jedes arschige Verhalten auch eine Licht-Seite mit sich. Der Arschengel macht überdeutlich auf die eigenen Seelenaufgaben aufmerksam. Nicht zu übersehen, nicht zu überhören, nicht aus dem Kopf zu kriegen! Beleidigungen, Verurteilungen, Mobbing, jede Form von niederträchtigem Verhalten und Gewalt. Da haben wir ihn: den perfekten Arschengel, der uns die perfekte Lektion serviert, und zwar eiskalt!

Der Arschengel ist also ein Anteil in jedem von uns, dem wir innerlich lieber aus dem Weg gehen. Wir weisen sogar den Verdacht weit von uns, ihn überhaupt in uns zu tragen. Vermeiden wir ihn innerlich konsequent, was typisch ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, ihm äußerlich in Form von anderen Menschen oder Lebensumständen zu begegnen. Und das ist höchst unangenehm. Auch da fahren viele von uns zahlreiche Vermeidungstaktiken, größtenteils in Form von Projektionen. Manche Menschen fangen dann an zu glauben, dass die ganze Welt aus arschigen Menschen besteht und sie selbst und das nähere Umfeld seien eine wohltuende Ausnahme. Sie wissen schon: Die Welt ist böse! Eine Klientin von mir hatte z. B. Angst davor in bestimmten Situationen Nein zu sagen, um nicht diesem Anteil, dessen Stimme sie bereits innerlich verurteilte und beschimpfte, im Außen zu begegnen. Der Arschengel wurde in ihr Leben besonders durch ein Familienmitglied gebracht. Sie konstruierte sich Folgendes zurecht: "Weil X so zu mir war, bin ich so geworden." Ihren eigenen Anteil leugnete sie, bis sie es in einer Sitzung schaffte, ihren Blickwinkel um 180 Grad zu drehen und den Anteil als ihren eigenen anzunehmen, was sie sonst strikt ablehnte. Innerer Frieden kehrte ein. Wenn wir also diesen Anteil als einen Teil von uns annehmen und als einen sehr radikalen Entwicklungswegweiser und Lernfreund begreifen, können wir einen ganz anderen Umgang mit ihm pflegen, der uns mit echter Harmonie und innerem und äußerem Frieden belohnen wird. Der andere Weg bestünde darin, sich kopfmäßig auf Frieden und Harmonie einzuschwingen. Da wird die Rechnung aber ohne diesen wichtigen inneren Anteil gemacht. Das ist auch der Grund, warum all die kopfmäßigen Kampagnen für Frieden oder gegen Mobbing die Gewalt nicht oder immer nur kurzfristig unterbinden können. Wollen wir Frieden und friedliche Menschen, müssen wir uns zuerst (innerlich) aussöhnen, auch mit dem Arschengel.

Warum nicht sofort harmonisch und friedlich?

Die echte Harmonie entsteht in Form einer liebevollen Auseinandersetzung (s. Göttin Harmonia, die Tochter von Mars, Krieg, und Venus, Liebe). Das ist eine sehr hohe Kunst, die erst einmal erlernt werden muss. Dafür müssen wir alle Formen von kriegerischen Auseinandersetzungen erfahren und auch alle Formen von Liebe, auch die Scheinliebe und auch die Lieblosigkeit. Sind wir irgendwann auf dem Entwicklungsstand, dass wir bereit sind, diese beiden scheinbar gegensätzlichen Erfahrungen zu vereinen, werden wir auch den Arschengel integrieren können.

Der Anteil, der den Arschengel willkommen heißt

Und so gibt es in uns auch einen Anteil, der den Arschengel – das nur zu unserem Besten – willkommen heißt. Er sehnt sich gerade zu nach dieser Erfahrung. Er sucht genau die Leute aus, die es uns voll und ganz bescheren können. Rational betrachtet scheint das völliger Unsinn zu sein. Entwicklungstechnisch ein Segen. Der Arschengel wird von uns am stärksten abgelehnt, so dass wir in diesem Fall die beste Übungsfläche für eine Auseinandersetzung in Liebe haben könnten. Natürlich scheitern wir daran und übernehmen dann die Arschengelrolle für die jeweils andere Person. Und so geht es immer weiter, bis die Entwicklungsstunde geschlagen und eine Annäherung möglich ist.

Aber! Mitleid und andere Einwände

Sicherlich fallen Ihnen viele Gründe ein, warum man sich dem Arschengel nicht nähern sollte. Es sind moralische Gründe: "Wenn er mir so kommt, will ich mit so einem nichts mehr zu tun haben!". Oder die Identifikation mit dem armen Opfer, das es "ganz zufällig" und "ohne Verschulden" trifft. All diese Einwände sind absolut menschlich und verständlich. Der Arschengel ist ja auch psychisch hart, seelisch aber genau richtig. Und hinter dem Arschengel versteckt sich im Endeffekt auch einfach nur ein Kind.

Wo kommt der Arschengel her?

Auch der Arschengel hat nicht genug Liebe bekommen und wurde stiefmütterlich behandelt. Von Mutter und Vater war nicht genug zu holen, sie wandten sich ab. Aber auch der Arschengel in jedem von uns kann Heilung erfahren und seine Anbindung an die Liebe zurückbekommen. Die archetypischen Eltern, Mutter Erde und Vater Himmel oder wie auch immer Sie sie nennen mögen, eilen herbei. Sie sagen, sie sind immer für das Kind da. Die Zeit der Stiefmutter ist vorbei. Der Arschengel, der eigentlich ein Kind ist, kann wieder seinen ursprünglichen Platz einnehmen. Die Ur-Situation der Nicht-Liebe löst sich auf. Auch braucht er keine Lügen mehr und keine Gewalt. Diese braucht er nur, wenn die Verbindung zu den göttlichen Eltern abbricht. Daraus entsteht also der Arschengel. Und er kommt natürlich auch überall dort zum Vorschein, wo der Mensch innerlich zerrissen ist und es an einem Punkt nicht mehr ertragen kann. Der Wunsch nach echter Harmonie ist da; man nimmt stattdessen die Pseudoharmonie. Irgendwann wird es zu viel, zu anstrengend, zu kostspielig. Der Arschengel bricht durch. Oder aber der Arschengel tritt auf den Plan, um den verzweifelten Versuch zu unternehmen, seine Würde zu wahren. Wenn Sie all das wissen, werden Sie hoffentlich weniger streng zu sich und zu anderen sein und hinter die Arschengel-Maske sehen können. Versuchen Sie es. Wenn Ihnen nächstes Mal jemand harsch kommt, leisten Sie keinen Widerstand, sondern sagen Sie so etwas wie: "O, ich sehe, ich habe Sie mit etwas verletzt. Es tut mir leid."

Nicht genug Liebe

Jedes Handeln des Arschengels lässt sich auf den Vorwurf an die Eltern zurückverfolgen, nicht genug Liebe erhalten zu haben. Nun, das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Die Eltern haben das gegeben, was sie geben konnten – im Guten wie im Schlechten. Die Liebe auch im Schlechten zu erkennen, ist eine hohe Kunst. Aber davon ist in einem anderen Artikel die Rede (s. "Universelle Liebe"). Mit diesem Vorwurf kann der Arschengel-Anteil in jedem von uns aktiv werden und zu den typischen Schutzstrategien (Rache, kalte Schulter, Mobbing usw.) greifen. Erkennt man aber den Vorwurf an, spricht sich aus und lässt den Vorwurf fallen, wird es möglich, den Liebesmangel auszugleichen, z. B. über die Verbindung zu den universellen Eltern. Mutter Erde und Vater Himmel sind immer da und geben einem so viel Liebe, wie man braucht.

Göttliche Verbindung wiederherstellen

Der Arschengel, ob in uns oder in jemand anders, wird also erst dann aktiv, wenn die Verbindung zum Göttlichen, zum Universellen fehlt oder unterbrochen worden ist. Kein Mensch kann ständig verbunden bleiben. Wir gehen online, dann wieder offline, um unsere Lektionen zu lernen. Haben wir die Lektion gelernt, sind wir wieder on. Das gelingt mal leichter, mal weniger leicht. Besonders beim Arschengel ist die grundsätzliche Verbindung zum Göttlichen schwer zu akzeptieren. Aber auch hier liegt die Lösung darin, die Botschaft des Arschengels anzunehmen, damit er sich verwandeln und integrieren kann. Dann ist er kein Gegenspieler mehr.

Aber auch der Arschengel ist göttlich

Die Anteile, die den Übergriff, den Unfall, die Krankheit oder jede andere existenziell aufrüttelnde Erfahrung wollten, sind also am weitesten vom "Ich" eines Menschen entfernt. Denn jeder Mensch bei gesundem Menschenverstand würde sofort sagen, dass er DAS, z. B. das Erleben von Gewalt, nicht wollte. Das ist naheliegend. Niemand will das! Und trotzdem gibt es in uns diese tief verborgenen Anteile, die es genauso haben wollten, die aus irgendwelchen lerntechnischen oder anderen Gründen das genauso grenzüberschreitend erleben wollten. Ihr erstes Ziel besteht v. a. darin uns mit dem Dunklen, dem Abgespaltenen in Kontakt zu bringen. Weigern wir uns, geht es dann nur auf die harte Tour. Man hat es also mit der Mahakala-Energie zu tun, die all jene auf die unsanfte Art konfrontiert, die es auf die sanfte Tour nicht verstanden haben. Mahakala ist eine buddhistische Gottheit, die dunkel aussieht und teuflische Attribute trägt. Dabei ist sie im Kern überhaupt nicht böse, sondern voller Mitgefühl und dient lediglich als Spiegel. Das Ziel der harten Tour: das Bezähmen des Geistes, das Entwickeln des inneren Reichtums und das Zerstören bzw. das Loslassen von allem, was hinderlich ist, z. B. von Illusionen und übermäßigen Ego-Schichten. Und das geht manchmal eben nur auf die harte Tour, wenn alle anderen Mittel versagten. Die Konsequenz dieses Prozesses besteht darin, dass die Bedingungen, z. B. die Lebensbedingungen, sich verbessern.

Der Arschengel im Außen: zwei Beispiele aus meinem Leben

In meinem Leben hatte ich zahlreiche Begegnungen mit Arschengeln. Und ich war häufig selbst einer. Zwei sind mir besonders in Erinnerung geblieben.

Als ich an der Fachschule Erzieher ausbildete, fing ich mit den Fächern Kommunikation und Gesellschaft an. Zwei Jahre später kam Sozialpädagogik dazu, eine typische Fächerkombi für eine Klassenlehrerin. Die Schule stellte bei der Bildungsbehörde einen Antrag auf Zulassung, damit ich das neue Fach offiziell unterrichten durfte. Davor hatte ich keine Probleme mit der Zulassung. Die Zulassungen für Kommunikation und Gesellschaft gingen problemlos über die Bühne; ich musste nicht einmal eine Lehrprobe ablegen. Hier kam die Absage, die mich damals schockierte. Ebenfalls meine Kollegen und meine Schüler. Die Absage war bürokratischer Natur: Ich hätte das falsche Fach studiert. "Was wäre, wenn ein Schüler den Abschluss nicht bekommt und die Schule verklagt mit dem Hinweis, dass die Lehrerin das Falsche studiert hat?" Wow, darauf wäre ich im Leben nie gekommen, aber zumindest war ich so weit, nicht auf die Absagende zu projizieren, auch wenn ich mich über ihren Bürokratie- und Sicherheitssinn sehr wunderte. Nach dem ersten Schock machten wir uns in der Schule auf den Weg einen zweiten Versuch zu starten. Ich unterrichtete zusammen mit einer Kollegin, las mir noch mehr Sachen an, informierte mich in Sachen Promotion. In der Zeit merkte ich, dass ich die Inhalte des neuen Fachs doch gar nicht so spannend fand, besonders im 2. Lehrjahr. Und dass ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, für immer und ewig an der Fachschule zu arbeiten. Es würde für mich anders weitergehen, das wurde mir immer klarer, damals wusste ich noch nicht, wie. Umso gelassener war ich, als ein Jahr später die wiederholte Absage kam: Es war einfach nicht meine Tür. Und so wurde aus der arschengeligen Erfahrung eine, die mich in meiner beruflichen und persönlichen Entwicklung sehr weiterbrachte.

Das zweite Arschengelgeschehen ereignete sich ebenfalls an der Fachschule. Ich unterrichtete damals meine letzte Klasse. Es war zum Ende des ersten Ausbildungsjahres hin. Am 1. April hatte ich wie gewohnt Unterricht in meiner Klasse. Eine Schülerin sprach mich an, ob ich kurz Zeit hätte. Ich sagte ihr, sie könne mich nach oben kurz zum Postfach begleiten und auf dem Weg könnten wir uns unterhalten. Sie kam mit. Ich öffnete mein Postfach und entdeckte dort ein Schreiben der Verwaltung. Jemand habe in der Schule angerufen und sich über mich beschwert. Und einen Tag später kam die Beschwerde auch schriftlich und ich erhielt eine Kopie davon. Und nein, das war kein Aprilscherz! Ich überflog das Schreiben kurz und ging mit der Schülerin nach unten, denn der Unterricht fing an. Ich bewahrte die Fassung und beschloss, mich später damit auseinanderzusetzen. Der Brief war anonym und voller Ungereimtheiten. Angeblich war der Verfasser bei mir im 2. Jahr (Ich hatte keine Klassen im 2. Jahr) und hätte viele Klausuren und Hausarbeiten bei mir geschrieben und schlechte Noten bekommen (Die Schüler bei mir hatten zu dem Zeitpunkt nur 2 oder 3 Arbeiten bei mir gehabt). Vielleicht war das extra so verfälscht. Der Brief war höchst emotional. Der Verfasser hätte Angst vorm Unterricht bei mir, hätte schon deswegen Alpträume und fühle sich sehr ungerecht behandelt und durch mich im Unterricht beschämt. Ich konnte aus dem Ganzen keinen großen Reim machen, überlegte, auf wen es zutreffen könnte und wer etwas so interpretiert haben könnte, kam aber zu keiner guten Schlussfolgerung. So beschloss ich, den Sachverhalt offenzulegen und erzählte meiner Klasse und der Parallelklasse, in der ich auch unterrichtete, davon. Die Schüler waren schockiert. Natürlich meldete sich niemand. Ich weiß bis heute nicht, wer es war. Ob jemand aus diesen beiden Klassen oder jemand aus einer alten Klasse, die gar nicht mehr da war, oder noch jemand anders. Ich beschloss aber, den Sachverhalt symbolisch zu betrachten und mich mit meinen innerpsychischen Täter- und Opfer-Anteilen zu beschäftigen. Dazu lud das Schreiben ja geradezu ein und ich hatte im Verfasser dieses Briefes die perfekte Projektionsfläche. So spürte ich noch einige alte Täter-Opfer-Spaltungen in mir auf und konnte sie befrieden. Das war eine typische Arschengel-Erfahrung, die ich zwar niemandem so empfehlen würde, die mich aber gleichzeitig sehr weitergebracht hat.

Arschengel loswerden

Arschengel machen nicht unbedingt Spaß. Eigentlich gar nicht. Und uneigentlich noch weniger. Wie wird man sie denn los? An sich ganz einfach: Man klärt die Themen, auf die sie aufmerksam machen. Ist das Thema geklärt, brauchen die Arschengel nicht mehr zu kommen. Wundervoll: Frieden, Freude, Eierkuchen... Solange die Arschengel noch da sind, ist es eine gute Idee, sich in Dankbarkeit ihnen gegenüber zu üben, auch wenn das höllisch schwer ist. Egal wie böse sie sind, es geht dabei immer im Hintergrund um etwas Gutes, und zwar um Heilung und Ganzwerdung.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Wie viele Arschengel habe / hatte ich in meinem Leben: Wer hat mich beleidigt, gemobbt, verurteilt, mir etwas vorgeworfen, mich unfair behandelt, mir Gewalt angetan usw. usf. Was wurde / wird mir dadurch gespiegelt? Beispiel: Wenn ich gemobbt werde, welche Anteile von mir mobbe ich? Wo mobbe ich andere, wenn auch nur in Gedanken? Wenn ich verurteilt werde, wo verurteile ich mich oder andere? Wenn mir etwas vorgeworfen wird: Wann ist an diesem Vorwurf dran? (Tipp: Der Vorwurf könnte symbolischer Natur sein und auf etwas anderes verweisen) Wo behandeln mich andere lieb- und würdelos? Wo tue ich das bei mir selbst und bei anderen? Achtung: Es zählen auch die Gedanken. Also alles, was man nicht ausführt, sondern nur denkt oder sich vorstellt. Und natürlich alles, was man komplett abgespalten hat und nur im Außen, aber nicht bei sich sieht.
  • Bin ich bereit, mich mit dem Arschengel zu konfrontieren, mich ihm anzunähern und mich ihm sogar dankbar für die Lektionen zu zeigen? Oder ist der Widerstand noch zu hoch? Bleibe ich also dann lieber das Opfer der anderen Menschen, der Umstände, des Mobbings, der Gewalt und lasse weiter Unfrieden in mir herrschen?

 

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