Alle meine Anteile: der Harmoniesüchtige
Inhaltsverzeichnis
- Die Rechnung geht nicht auf
- Dazugehören
- "Ich will ein friedliches / harmonisches Leben!"
- Die Göttin Harmonia
- Ein kleiner Grenzgang
- Fragen zum Nachforschen und Ergründen
Wenn im Folgenden vom Harmoniesüchtigen die Rede ist, ist damit kein Mensch gemeint, sondern die Gesamtheit all der harmoniesüchtigen Anteile eines Menschen, die zugegebenermaßen auch den Hauptteil der Persönlichkeit ausmachen können. Die harmoniesüchtigen Anteile, auch wenn ich sie im Folgenden sehr kritisch beleuchte, sind ein Teil unseres evolutionären Erbes. Sie sorgen für unser Überleben auch unter sehr widrigen Umständen. Allerdings ist der Preis des Überlebens hoch und mit der Zeit sammeln sich Schulden an, weil die Rechnung dann doch nicht ganz aufgeht.
Die Rechnung geht nicht auf
Der Harmoniesüchtige macht eine Rechnung, die so nie ganz aufgeht: "Wenn ich dafür sorge, dass es jemand anders (ursprünglich Mama und Papa) gut geht und er sich wohlfühlt, dann wird er auch das Gleiche für mich tun. Dann wird alles gut." Diese Rechnung, wie notwendig sie in der Kindheit auch gewesen sein mag, ist schlecht aufgestellt. Erstens geht der Harmoniesüchtige bereits in Vorleistung und über seine Grenzen. Dass er über seine Grenzen geht, bedeutet, dass er sich im Autonomie-Bereich des anderen befindet. Das ist übergriffig und manipulativ, auch wenn es unbewusst geschieht. Drittens hängt mit der Rechnung eine Erwartung, belohnt zu werden, für das, was man eingesetzt hat. Geht die Rechnung nicht auf ("Ich habe mich so bemüht!"), entsteht Ärger und Wut über die Enttäuschung. Dabei könnte der Harmoniesüchtige diesen Prozess nutzen und erkennen, dass er sich selbst täuscht. Tut er es nicht (Und das ist ohne Hilfe manchmal etwas schwierig. Oder das Leben muss die Aufgabe der Ent-Täuschung verstärken), sammelt sich unterdrückte Wut, die ggf. indirekt ausgedrückt wird, wenn überhaupt, in Form von Groll an. Ist auch das Groll-Fass voll, wird der Mensch verbittert. Oder er manövriert sich in ein Burn-Out. Diese Prozesse sind v. a. bei Menschen bekannt, die in sog. sozialen Berufen arbeiten. Durch ihre stark ausgeprägten harmoniesüchtigen Anteile scheinen diese Menschen wie prädestiniert für diese Berufe zu sein: Sie sind äußert engagiert und akzeptieren Arbeitsbedingungen, die in anderen Branchen inakzeptabel wären.
Vergleichbar ist das Handeln des Harmoniesüchtigen mit einem Piano-Spiel, das die disharmonischen bis miesen Töne, die sonst gespielt werden, übertönen sollen. Dadurch wird die Gesamtmusik aber keinesfalls schön. Mehr oder weniger bewusst dringen die "falschen" Töne trotzdem zum Hörer durch. Und das Piano-Spiel des Harmoniesüchtigen, auch wenn er es richtig gut beherrscht, hat trotzdem etwas Aufgesetztes, etwas Krampfhaftes. Oder das Klavier ist verstimmt und er tut so, als wäre alles in bester Ordnung. Die Zuhörer spielen da meist mit. Kaum einer will sich outen und sagen: "Moment mal! Da stimmt doch etwas nicht!", auch wenn jeder das mehr oder weniger bewusst merkt. So oder so steckt da ein extra Kraftaufwand darin, der bei echter Harmonie nicht notwendig ist, denn sie ist ein natürlicher Zustand ohne extra Energie-Aufwand.
Dazugehören
Auf einer noch tieferen Beziehungsebene, hat der Harmoniesüchtige Folgendes gelernt: "Wenn ich mich stiefmütterlich behandle / behandeln lasse, gehöre ich dazu / habe ich Freunde. Stehe ich zu meinen Bedürfnissen, kommt es zu Konflikten und dann habe ich Feinde." Kein Wunder, dass er dann alles tut um Konflikte und Feindseligkeit und Ablehnung zu vermeiden. Es ist eine tiefe Wunde, die er durch sein Zuvorkommen und das Sich-Kümmern um andere sorgfältig cachiert. Die Spannungen werden unter den Teppich gekehrt, so gut es eben geht. Dabei will er nur eines: ein Leben in Frieden und Harmonie! Man wird aber nie in Frieden und Harmonie sein, wenn man sich stiefmütterlich behandelt, z. B. die Signale des Körpers und die eigenen Bedürfnisse hintenanstellt. Und so sind die Spannungen, an die der Harmoniesüchtige nicht anrühren will, nicht weg, sondern zeigen sich z. B. auf der körperlichen Ebene in Form von Verspannungen, Übergewicht und anderen Krankheiten. Der Teppich wölbt sich sozusagen. Hinter diesem Prozess stecken natürlich auch vielerlei Ängste. Meist geht es um Ängste vor Einsamkeit ("Ich bin dann ganz allein auf dieser Welt.") oder sogar solche vor Vernichtung ("Man wird mir etwas antun. Ich werde sterben."). Der Wunsch nach Frieden und Harmonie bleibt aber vordergründig.
"Ich will ein friedliches / harmonisches Leben!"
Das ist ein verständlicher Wunsch. Nur stellen Sie sich vor, dass Sie Ihr Haus auf Sand gebaut haben. Und dann wundern Sie sich, dass es viele Probleme gibt und das Haus gar nicht so sicher ist. Ständig ist irgendetwas. Es droht sogar zusammenzufallen. Beim Harmoniesüchtigen ist es ähnlich: Nichts wünscht er sich sehnlicher als Frieden, Ruhe und Harmonie, hat aber kein Fundament dafür gesetzt. Natürlich ist es meist kein bewusster Vorgang. Neulich fragte ich eine Klientin, die sich genau darüber beklagte, dass sie doch nur etwas Ruhe und Frieden wollte, ob sie denn auch die Voraussetzungen dafür geschaffen hätte. Frieden und Ruhe im Außen kann nur derjenige haben, der auch innerlich friedlich ist, also z. B. in Frieden mit seiner Vergangenheit ist und vieles / alles vergeben hat.
Die Göttin Harmonia
Wie das geht, zeigt uns die Göttin Harmonia. Sie ist keine Zuckerwatte-"Wir haben uns alle lieb"-Göttin, sondern entstammt der Vereinigung von Mars (Kampf, Krieg) und Venus (Liebe). Die wahre Harmonie entsteht also erst durch eine liebevolle Auseinandersetzung. Beim Harmoniesüchtigen haben wir es aber nur mit einer Liebesillusion zu tun. Der Harmoniesüchtige hat natürlich auch die andere hässliche Seite: die ganze Negativität, z. B. Groll, die sich innerlich und manchmal äußerlich Luft verschafft und ihn zerfrisst. Das ist sehr weit entfernt von echtem Frieden und echter Harmonie. Die Lösung wäre also eine Auseinandersetzung in Liebe mit sich und den eigenen inneren Konflikten, mit seinen Mitmenschen, mit seinen Lernaufgaben. Das kann einen Harmoniesüchtigen leicht in Verzweiflung stürzen: Er will doch nur Frieden und hat sich das alles einfacher vorgestellt. Und jetzt wird es scheinbar komplizierter. Und wo ist die Garantie? Lieber verharrt er in dieser Verzweiflung oder kokettiert sogar mit dem Tod: "Wozu all die Qual?" Wo wir beim Tod sind...
Ein kleiner Grenzgang
An dieser Stelle hilft ein energetischer Ausflug in den Grenzbereich des Todes. Dort herrscht immer friedhöfliche Ruhe. Es gibt keine Polarität, keine Spannung, keine Konflikte. Ist es möglich, diese Energie zu tanken, hat man Abstand zu den Konflikten, auch zu denen, die noch unter dem bekannten Teppich schwelen, zu den eigenen Reaktionen und hat Vertrauen, auch das zu schaffen. Dieses innere Friedensgefühl aus der anderen Welt ist eine solide Basis und es lässt sich ins Leben übertragen. Mit seiner Hilfe können auch lebenstypische Spannungen abgebaut werden, was das innere Friedensgefühl aus dieser Welt verstärkt. Dem Ausgraben des versteckten Grolls und der Vergebungsarbeit steht dann deutlich weniger im Wege. Echte Harmonie und echter Frieden entfalten sich. Der Atem des Menschen wird tiefer und langsamer. Sein Herz schlägt entspannter und variabler. Auf Probleme reagiert er mit viel mehr Gelassenheit und fühlt sich in seinem Leben immer wohler. Die Musik, die er auf dem Klavier des Lebens spielt, ist harmonisch und authentisch. Die dissonanten Töne werden nicht unterdrückt oder überspielt, sondern sie vervollständigen das Gesamtbild. Ist das Lebensklavier ganz und gar verstimmt, dann lässt er sich damit Zeit, es neu zu stimmen. Und so errichtet er sich ein tragfähiges Fundament, das für Frieden und Ruhe sorgt – auch in stürmischen Zeiten!
Fragen zum Nachforschen und Ergründen
- Wie steht es um meine Harmoniesucht? Kümmere ich mich um die Spannungen in meinem Leben und suche nach echten Lösungen in Form einer liebevollen Auseinandersetzung? Oder gehe ich Spannungen lieber aus dem Weg, kehre sie unter den Teppich und tue so, als wäre nichts?
- Wo gehe ich faule Kompromisse und Deals ein?
- Wo versuche ich andere (bewusst und unbewusst) zu manipulieren und ihre Stimmung zu beeinflussen, damit Frieden herrscht?
- Welche Symptome habe ich bereits durch meine Harmoniesucht?
- Wie atme ich? Tief und langsam oder eher flach und schnell? Wie steht es um die Gesundheit meines Herzes? Reagiert es flexibel auf Belastungen und Veränderungen? Oder ist es zu einem trägen Taktgeber mutiert?
- Was hindert mich daran, meine Einstellung zu Konflikten und Spannungen zu verändern? Wovor habe ich Angst?
- Wenn ich an meinen letzten Konflikt denke: Was war mein Anteil daran? Was sollte ich lernen? Was sollte ich vergeben, damit ich friedlicher werde?
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