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Alle meine Anteile: der Perfektionist

 

Inhaltsverzeichnis

 

Das Perfekte als Grundlage des Seins

Das Universum ist an sich perfekt. Alles ist aufeinander abgestimmt, alles ist miteinander verbunden, alles ist im Einklang. Wir Menschen sind allerdings dazu berufen, die Erfahrung zu machen, was passiert, wenn man auf vielfältige Weisen aus diesem Einklang scheinbar herausfällt. Scheinbar, weil auch diese Erfahrung im Einklang mit allem ist. Und wir alle streben nach der Rückkehr ins Gefühl des Einklangs. Und auch der Perfektionist. Er glaubt nämlich, dass er über seinen Perfektionismus den Schlüssel zum höheren Sein erhalten kann und wird. Er täuscht sich. Er wird vielleicht eine kurzzeitige Euphorie oder einfach ein gutes Gefühl bei einem Erfolg erleben, aber all das wird nur von kurzer Dauer sein. Er wird sich noch mehr anstrengen. Das kann kurzzeitig zu guten Ergebnissen führen, für die er aber zu viel Kraft aufwendet. Die Rechnung kommt und mit ihr fühlt er sich überhaupt nicht mehr im Einklang mit dem, was ist.

Angst als Grundlage des perfektionistischen Musters

Der Perfektionist hat einfach nur Angst. Er hat Angst, sich dem Fluss des Lebens anzuvertrauen und versucht ihn durch Anstrengung und Anspannung zu kontrollieren. Dadurch schützt er natürlich sein Selbstbild, aber er schützt sich auch vor Gefühlen der Ohnmacht, der Hilflosigkeit und der Angst. Würde er sich mit seiner Ohnmacht und seiner Angst voll und ganz konfrontieren, könnte er sie in jeweils in Hingabe und Vertrauen verwandeln. Er würde sich entspannen und erst so sein eigentliches Ziel erreichen: die höchstmögliche Perfektion. Ob sie dann wirklich makellos oder fehlerfrei ist, ist unerheblich, denn sie entspricht dem momentan bestmöglichen Ergebnis und ist so per Definition perfekt: Mehr ist nicht drin!

Was genau ist dem Perfektionisten passiert?

Nun, das ist individuell. Was genau hat denn der jeweilige Mensch erlebt? Durch welche Situationen hat er sein Vertrauen und den Zugang zu seiner Kraft verloren, so dass er das jetzt über das perfektionistische Muster kompensieren muss? Es können dem verschiedene Verletzungen zugrunde liegen. Vielleicht schämt sich der Perfektionist für das, was er ist. Er wurde nicht gesehen und in seiner Identität verletzt, für nicht gut genug befunden, und so versucht er das durch ein perfektes Bild von sich selbst auszugleichen. Damit geht eine gewisse Arroganz (Ich bin besser als andere) und Überheblichkeit (Ich kann mehr als andere) einher, die ihm den so nötigen Bodenkontakt nur weiter entzieht. Oder er hat die Erfahrung gemacht, dass ihm nur dann Liebe zuteil wurde, wenn er etwas Außerordentliches oder Übermenschliches leistete. So oder so fehlt ihm die Kraft aus der Erde, die ja auch Stabilität und Vertrauen mit sich bringt. Davon hat er also zu wenig, versucht diesen Mangel durch seinen Perfektionismus auszugleichen, wodurch er noch weniger Bodenkontakt hat. Der Kreis schließt sich. Es kann so weit gehen, dass er sich dann sehr von fremden Anliegen, Erwartungen und Ansprüchen beeinflussen und beeindrucken lässt, ja, das Erfüllen dieser Ansprüche als sogar DIE Lösung für sein Problem ansieht, dass er ganz und gar den Kontakt zu seinem Eigenen und seiner inneren Stimme verliert. Spätestens dann kommt er in Teufels Küche mit entsprechenden körperlichen und emotionalen Symptomen, Stichwort Burnout.

Die Lösung

Die Lösung ist einfach (der Weg dorthin aber häufig nicht) und besteht in einer veränderten Mentalität. Es gilt, den Glauben anzunehmen, dass nichts Schlimmes passieren kann. Der neue Glaubenssatz lautet hiernach: Was auch immer passiert, es ist etwas Gutes, etwas Perfektes sogar. Der Perfektionist wird also seine Ängste loslassen und sein Urvertrauen wieder finden müssen. Er wird einiges an Mustern, Verhärtetem und Selbstbild loslassen müssen, wenn er sich seinen Perfektionismus ansieht. Er wird sich auch von konkreten Vorstellungen, wie etwas zu laufen hat oder wie jemand zu sein hat, verabschieden müssen. Das ist zwar einen Moment lang schmerzhaft, da es betrauert werden muss, es löst aber gleichzeitig die altbekannte Spannung auf, die der Perfektionist vor einem Ereignis verspürt. Manche kennen das nur vor wichtigen Ereignissen. Andere verspüren diese Anspannung wegen jeder Kleinigkeit. Oder die Anspannung ist schon so sehr zur zweiten Haut geworden, dass der Mensch diese extra Schicht nicht einmal merkt. Gelingt dem Perfektionisten seinen perfektionistischen Weg zu verlassen, kann er sogar zur Weisheit vordringen.

Die Lösung bzw. der Abschied vom Perfektionismus besteht auch darin, für bessere Erdung, also Erdverbundenheit, zu sorgen. Der Perfektionist ist zu sehr in höheren Bereichen, besonders im Kopf, unterwegs. Dahinter verbirgt sich eine Wut auf sich selbst, da man eben doch nicht perfekt ist. Diese Wut projiziert sich manchmal auf andere, wenn sie mal nicht-perfekt sind. Es findet sicherlich auch ein plausibler Grund, der diese Wut rechtfertigt. Die anderen sind dann eben schuld, weil sie z. B. etwas nicht richtig oder nicht gut genug gemacht haben. Manche Perfektionisten sind aber nur zu sich selbst streng und milde zu anderen. 

Es gibt keine Abkürzung. Erst das Erleben des Nicht-Perfekten in all seiner Perfektion führt am Ende zum Erleben des Perfekten in Perfektion. Das Perfekte verliert seine Überhöhung, es ist stets das, was ist. Und nein, das ist kein Widerspruch, sondern ein Teil des Weges. Ich nehme mich als Beispiel: Ich wäre gern perfekter gewesen, als ich war, und erlebte dann lauter unperfekte Dinge, wie z. B. eine Mutter, die mir nicht das gab, was ich brauchte, oder mich sogar in Schockmomente versetzte, also traumatisierte. Ich entwickelte Wut und Hass auf sie, schützte mich durch Ekelgefühle ihr gegenüber, und versuchte, sie mir vom Leibe zu halten, um meine Anspannung zu verringern. Ich löste meine Anspannungen und meine Projektionen, wurde immer kraftvoller und entspannter. Erst die Einsicht, dass all das Un-Perfekte mich zu meiner Perfektion führte, dass das MEIN Weg war, erlöste mich von der restlichen Spannung, so dass ich mich annehmen konnte, wie ich bin. Und andere dann natürlich auch. Und dann konnte ich mich in all meiner Perfektion und all meiner Imperfektion umarmen – ein äußerst berührender Moment! Das ging alles am Ende sehr schnell, mein Weg dorthin war aber lang und führte über Coachings und Reflexionen, Traumaauflösungsarbeit und spirituelle Praktiken und Energiearbeit dahin. Ja, den Weg muss jeder selbst gehen und zwar Schritt für Schritt. Entziehen kann man sich ihm nicht genauso wie man nicht auf Essen und Schlafen verzichten kann. Und genauso wie beim Essen und Schlafen kann es niemand anders für einen übernehmen, auch wenn es manchmal danach aussieht.

Das Konstruktive hinter dem destruktiven Muster

Aber auch der Perfektionist kann eine konstruktive Botschaft mitbringen genauso wie der innere Kritiker: Ist an den Vorwürfen etwas dran? Vielleicht liegt der Vorwurf des Nicht-Perfekten auf einer ganz anderen Ebene? Vielleicht ist er symbolisch? Vielleicht erkennt der Mensch seine eigene Perfektion als göttlich-menschliches Wesen einfach nicht an? Stattdessen versucht er, auf anderen Wegen, diese Perfektion zu erreichen, also auf der Handlungsebene. Das ist nicht möglich, denn die Handlungsebene ist eine andere Ebene als das energetische Fühlen und Anerkennen des eigenen Wesens. Handlungen können niemals Identität ersetzen.

Oder der Vorwurf des Nicht-Perfekten ist viel direkter und man übersieht bei seinen Handlungen tatsächlich etwas Wichtiges? Stellen Sie sich vor, Sie kochen ein Gericht. Es schmeckt gut, aber etwas fehlt. Ihre Gäste machen sie höflich darauf aufmerksam, dass das Gericht Ihnen nicht perfekt gelungen ist. Beim nächsten Mal versuchen Sie es besser. Es wird auch besser, aber perfekt ist es nicht. Der Fehler lag dann darin, dass Sie versucht haben aus dem bereites Vorhandenen etwas Besseres zu machen, statt zu erforschen, ob nicht eine oder mehrere Zutaten fehlen. Am Kochprozess als solchem war also nichts aussetzen und da könnten Sie sich zu Tode verausgaben und trotzdem kein perfektes Ergebnis erzielen. Machen Sie aber die fehlende Zutat ausfindig, kann Ihnen etwas gelingen, was durch all die vorherige Mühe und Anstrengung unerreichbar schien. Und ja, manchmal kommt dabei die Überraschung: "Was? So einfach kann das sein?" Ja, in der Tat, mit den richtigen Zutaten ist es häufig ein Kinderspiel. Die eigentliche Anstrengung besteht darin, die fehlende Zutat zu finden und zu integrieren.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • In welchen Situationen bin ich perfektionistisch? In welchen nicht perfektionistisch genug?
  • Wie gehe ich mit Menschen um, die ich für perfektionistisch halte? Bin ich gelassen oder triggern Sie in mir etwas an? (Hinweis: der eigene Perfektionistenanteil kann sich hinter einer Ablehnung des Perfektionisten verstecken. Weiter verdrängt zeigt er sich z. B. gerne mal auf der Haut.)
  • Bin ich grundsätzlich eher streng oder eher mild? Zu mir? Zu anderen?
  • Nehme ich mich so an, wie ich bin? Oder habe ich an mir ständig etwas auszusetzen? Warum tue ich das? Was sind die geheimen Vorteile davon?
  • Welche geheime Zutat fehlt mir noch für mein perfektes Gericht?

 

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