Therapie nach der Therapie
Inhaltsverzeichnis
- Aus der Grundversorgung in den freiRaum
- Klientenerfahrung und Hinweise
- Worte, Körper und die innere Wahrheit
- Verarbeitung auf verschiedenen Ebenen
- Spirituelles und Philosophisches
- Bei wem bin ich richtig?
- Diagnose als Hinweis
- Misthaufen oder Fliegen?
- „Die Lösung muss einfacher sein als das Problem!“
- „Der Kern ist dran!“
- Ist das alles? Oder habe ich etwas vergessen?
- Fragen zum Nachforschen und Ergründen
Aus der Grundversorgung in den freiRaum
Viele Klienten, die in den freiRaum kommen, haben bereits Kassentherapien absolviert. Braucht man also nach einer Kassentherapie eine weiterführende private Therapie? Und wenn ja, was könnten die Gründe dafür sein?
Wenn jemand zum ersten Mal in den freiRaum kommt, nehme ich zu Beginn der ersten Sitzung die Daten für die Klientendoku auf. Nur das Notwendigste. Routinemäßig frage ich nach, ob ein Klient bereits eine Psychotherapie hatte, was viele bejahen. Meistens geht es um eine Kassentherapie (manchmal sogar zwei oder drei davon) aus einem bestimmten Anlass. Es geht um diese klassischen Einheiten 50 Minuten pro Woche, in denen darauf hingearbeitet wird, die Symptomatik zu bessern und korrigierende Erfahrungen zu ermöglichen. Es gibt eine Diagnose und einen Behandlungsplan. Auch wenn ich selbst ganz anders arbeite, finde ich diese Informationen interessant. Sie geben mir Hinweise. Dazu später mehr. An dieser Stelle lautet die Frage vor allem, warum jemand, der bereits eine oder mehrere Therapien hinter sich hatte, in den freiRaum kommt. Wenn man laut Kassenversorgung als austherapiert gilt, heißt das, dass man keine Therapie mehr braucht?
Klientenerfahrung und Hinweise
Neulich erzählte mir eine Klientin, dass sie der Meinung war, viele Dinge bereits verarbeitet zu haben, im Rahmen der Therapie und auch im Laufe ihres Lebens. Es gab aktuell einen Auslöser in ihrem Leben und so kamen doch noch einige Dinge hoch. Eine Beratungsstelle empfahl ihr, sich darum zu kümmern. Eine klassische Therapie, zu der man einmal die Woche für 50 Minuten geht und redet, konnte sie sich nicht mehr vorstellen. Ihrer Erfahrung nach war der wöchentliche Termin nicht immer passend. Manchmal musste sie sich dazu zwingen. Manchmal wusste sie nicht, worüber sie in der Sitzung sprechen soll und bemühte sich der Rolle eines Klienten gerecht zu werden. In so einem Fall ist die Therapie eher eine Last als eine Hilfe, v. a. wenn man das Gefühl bekommt, man würde immer über dasselbe reden, zu den gleichen Erkenntnissen kommen und kaum etwas würde sich bewegen. Einerseits bleibt man in sicheren Gewässern. Andererseits kommt man doch nicht deswegen in ein therapeutisches Setting. Die Klientin beschloss nach einem Angebot zu suchen, das flexibler ist und von vornherein Tiefgang verspricht und fand mich. Die erste Sitzung dauerte 3 Stunden. Ungewohnt und anstrengend war es für sie, sich so lange mit sich und den eigenen Anteilen zu beschäftigen. Gleichzeitig kam einiges in Bewegung. Eine Erkenntnis purzelte nach der anderen herein. Es wurden viele innere Wahrheiten ausgesprochen, die zuvor noch nie zur Sprache kamen (Wenn dies passiert, merke ich das körperlich in Form eines angenehmen Gänseschauers. Es kribbelt.). Wie kommt dieser Effekt zustande?
Worte, Körper und die innere Wahrheit
Nur reden bringt uns unserer inneren Wahrheit nicht näher. Solange wir nur reden, sind bestimmte Schutzmechanismen aktiv. Es dauert lange (und manchmal ist es ein Ding der Unmöglichkeit), sie zu durchbrechen oder sie anders agieren zu lassen, wenn man nur über etwas redet.
Verarbeitung auf verschiedenen Ebenen
Viele Dinge hat die Klientin tatsächlich in ihren Therapien bereits verarbeitet. Es gibt allerdings verschiedene Verarbeitungsebenen. Hat man etwas kognitiv verarbeitet, also verstanden, heißt es nicht, dass man auch das Emotionale bewältigt hat. Hat man das Emotionale bewältigt, bedeutet es nicht, dass man auch die körperlichen Anteile mit integriert hat. Und so habe ich es oft mit Klienten zu tun, die z. B. sagen: „Ich dachte, ich hätte das verarbeitet!“ Ich bestätige sie darin und sage: „Ja, kognitiv und emotional haben Sie das auch verarbeitet. Aber im Körpergedächtnis gibt es Erinnerungen, die noch nicht abgeschlossen sind.“ Also gehen wir dann über den Körper, schauen, was er zu sagen hat, was er noch braucht, damit die Verarbeitung auch auf dieser Ebene abgeschlossen werden kann.
Spirituelles und Philosophisches
Die meisten Therapien beziehen die spirituelle Ebene nicht mit ein, dabei ist sie genauso wichtig wie die anderen drei. Die philosophischen Fragen: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Wer bin ich? Warum bin ich hier? Was sind meine Lebensaufgaben? Wie nehme ich Kontakt zu meinem inneren Kern auf? – sind genauso ein Urbedürfnis wie Essen und Trinken und Beziehungen. Und diese Ebene kommt in unserer Gesellschaft, die auf Leistung und Sichtbares ausgelegt ist, eindeutig zu kurz. Hier ist also ein großer Mangel, besonders bei Menschen, die wundervoll mit verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet sind und besondere Begabungen, z. B. im Bereich der Wahrnehmung und der Feinfühligkeit, haben, die in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt nicht sonderlich geschätzt werden. Ganz im Gegenteil leben diese Menschen mit einem starken Gefühl der Andersartigkeit, der Einsamkeit, des Nichtdazugehörens. Sie würden damit sogar anderen gewaltig auf den Senkel gehen, so ihre Wahrnehmung. Und das, obwohl sie so begabt und feinsinnig sind. Die Therapie kann also ein Ort sein, in dem diese „Andersartigkeit“ anerkannt und gesehen wird. Die Feinfühligkeit (auch Hochsensibilität, Hochsensitivität) wird als das gesehen, was sie ist: eine Gabe, eine besondere Fähigkeit. Im Alltag erscheint sie als Fluch und Segen. Und so weiß z. B. ein besonders feinfühliger Erzieher sofort, dass mit einem Kind oder einem Kollegen etwas nicht in Ordnung ist. Er kann aber diese Wahrnehmung weder einfach loslassen noch sie gut in Worte verpackt anderen Menschen vermitteln, die dann verwundert reagieren, da sie ihrerseits entweder nichts wahrgenommen oder aber ihre Wahrnehmung durch einen Schutzmechanismus unbewusst unterbunden haben. Im freiRaum lernen die Klienten, mit dieser Gabe gut zu leben und sie gezielt einzusetzen. Sie wird nie einem aufs Wort gehorchen, dafür ist sie nicht da. Man wird aber mit der Zeit sehr viele Wahrnehmungen einfach durchlassen können. Es wird nicht mehr so belasten.
Bei wem bin ich richtig?
Man ist genau dort richtig, wo man gerade ist. Hat sich ein Klient für eine Kassentherapie entschieden, ist er da genau richtig. Entscheidet er sich später für eine private Praxis, so ist er da auch richtig. Wir suchen die für uns passende Begleitperson unbewusst und goldrichtig aus. Auch wenn wir z. B. die Praxis zwischendurch wechseln müssen, weil etwas nicht passte, war die Erfahrung mit diesem Menschen wichtig und richtig. Daher stellt sich an diesem Punkt die Frage, ob eine private Therapie noch in Frage kommt, wenn man schon viele Therapien gemacht hat, gar nicht mehr. Wenn der Wunsch da ist – er fühlt sich wie eine Art Sog an, man fühlt sich angezogen, man weiß innerlich, dass man dahin muss – dann ist der Wunsch da. So einfach ist das!
Diagnose als Hinweis
Zurück zum Diagnose-Punkt. Welche Informationen bekomme ich über die schulmedizinische Diagnose? Wenn mir jemand erzählt, dass er oder sie Depressionen hatte, denke ich dabei an verschiedene Aspekte: an die Lebensenergie und ihre Unterdrückung, an den Aspekt des Todes und seine Verflochtenheit mit dem Leben, an die eigenen Bedürfnisse und ihre Unterdrückung, an das Erfüllen bzw. Nicht-Erfüllen der eigenen Lebensaufgabe (Für die falsche Aufgabe gibt das System keine Energie frei – schlau, nicht?). Wenn mir jemand von Panikattacken berichtet, die häufig somatisierte Ängste und auch Wut darstellen, denke ich an Erlebnisse der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins, die im Körper gespeichert sind. Sie können aus der Verlassenheit oder Vernachlässigung in einer wichtigen Beziehung (typisch Mutter-Kind) resultieren, aus Nahtoderfahrungen, z. B. auch bei Operationen, oder auch aus transgenerational weitergegebenen Informationen (Ohnmacht und Angst der Großeltern im Bombenschutzkeller wäre ein Beispiel). Ob wir gespeicherte Informationen in Form von körperlichen Beschwerden (z. B. Magen-Darm), emotionalen Problemen (Wut- oder Angstausbrüche) oder auf der Beziehungsebene (Konflikte mit dem Partner, mit den Kindern) leben, ist individuell und bei jedem von uns unterschiedlich gewichtet.
Misthaufen oder Fliegen?
Die folgende Metapher ist etwas unappetitlich. Stellen wir uns vor, dass das, was man in der Therapie behandeln will, ein Misthaufen ist. Im Misthaufen sind auch ein paar Diamanten versteckt, aber das weiß man vielleicht noch gar nicht. Außerdem lockt er Fliegen an. Man kann diesen Misthaufen ignorieren, dann würde man gar keine Therapiestunden nehmen. Man kann sich in der Therapie aber auch dem Fangen der Fliegen widmen. Man wird da auch Erfolge erzielen. Allerdings sind die Fliegen nach kurzer Zeit wieder da, da sie vom Misthaufen angelockt werden. Nach meinem Prinzip sage ich klar und deutlich: Der Misthaufen muss weg. Dann ist auch das Fliegenproblem gelöst. Im Dreck herumzuwühlen ist nichts, was ein Mensch gerne und freiwillig macht. Schon gar nicht, wenn der Haufen riesengroß, übelriechend und chaotisch ist. Es muss schon Leidensdruck dahinterstehen. Das ist gut für die Motivation. Man wird auch reichlich belohnt, denn in diesem Misthaufen findet man noch ganz tolle Sachen, an denen übrigens der ganze Mist nicht hängen bleibt. Sie sind wie neu und riechen auch sehr gut. Also, auf zum Misthaufen!
„Die Lösung muss einfacher sein als das Problem!“
Mein wichtigster Grundsatz für die Arbeit und auch fürs Leben lautet: „Die Lösung muss einfacher sein als das Problem“. Der Gedanke dahinter ist, dass, wenn eine Lösung kompliziert ist, sie das Problem zwar löst, aber gleichzeitig neue Probleme erschafft, für die wiederum Lösungen gefunden werden müssen. Es entsteht ein ziemlich kompliziertes Konstrukt. Im freiRaum lasse ich – natürlich nur mit Erlaubnis des Klienten – dieses Konstrukt gern kontrolliert zusammenbrechen. Der Mensch fällt dabei auf seine Grundeinstellung und sich selbst zurück – im geschützten Setting ein erstrebenswerter und angenehmer Zustand. Während dieses Selbstkontakts greife ich gern Fragen und Zweifel auf, die ich zu Beginn der Sitzung aus dem Gespräch aufgeschrieben habe. Spannend ist die Reaktion auf diese Fragen, die zwei Stunden zuvor noch überlebenswichtig erschienen: „Die Frage stellt sich mir gar nicht mehr.“ Oder: „Das interessiert mich nicht mehr.“ Oder: „Das ist nicht mehr wichtig / relevant.“ Die sind wie ausgelöscht. Da dieses Konstrukt von Lösungen, die Probleme erschaffen, für die wieder Lösungen gesucht werden, eingestürzt ist, gibt es ganz viele Probleme gar nicht mehr. Für das ursprüngliche Problem wurde dagegen eine Lösung gefunden, die einfach ist. Eine Erleichterung und Befreiung auf allen Ebenen! Es ist natürlich auch möglich, mit komplizierteren Lösungen und Problemen zu leben, sich neue Strategien im Umgang damit zu erarbeiten, die Probleme und Lösungen zu reflektieren – das ermöglicht z. B. die Kassentherapie. Das funktioniert auch. Zu einem bestimmten Grade und es hat auch einen Preis. Wenn man an den Punkt gelangt, dass man das nicht mehr will, gibt es die Möglichkeit an die Ursache vorzudringen und dort eine einfache Lösung zu suchen. Klingt zu gut um wahr zu sein? Tatsächlich erlebe ich manchmal Klienten, die aus dem Stauen nicht herauskommen, wie einfach es manchmal geht. „Wie, das ist jetzt die Lösung? So einfach ist das? Ich darf sie einfach haben und leben?“ Die Schwierigkeit liegt hier im Annehmen. Es fällt uns Menschen manchmal unglaublich schwer, Dinge einfach anzunehmen. Es sind die Grundannahmen der Kultur und der Gesellschaft, dass man nichts bekommt, wenn es nicht mit harter Arbeit verbunden ist und lange dauert. An dieser Stelle gelten andere Regeln. Was man bekommt, kann man nehmen. Dafür muss man sich einen Schritt bewegen und sich überwinden. Aber dann hat man's. Unglaublich, oder?
„Der Kern ist dran!“
Vielleicht sind Sie an den Punkt Ihres Lebens gekommen, an dem Sie "objektiv gesehen" alles haben: eine Partnerschaft, eine Familie, eine schöne Wohnung. Sie haben auch Ihre Berufung gefunden und leisten so Ihren Beitrag zum großen Ganzen aus Ihrer Leidenschaft heraus. Und trotzdem stimmt etwas nicht. Objektiv lässt es sich nicht erklären, innen ist aber deutlich ein Mangel oder ein Fragezeichen zu spüren: Etwas Wichtiges fehlt. Dann ist Ihr Kern dran!
Ist das alles? Oder habe ich etwas vergessen?
Habe ich einen wichtigen Punkt vergessen, warum eine private weiterführende Therapie nach einer Kassentherapie sinnvoll sein kann? Dann lassen Sie es mich bitte wissen. Ich werde diesen Artikel um diesen Punkt ergänzen. Vielen Dank & bis bald im freiRaum!
Fragen zum Nachforschen und Ergründen
- Habe ich bereits eine oder mehrere Therapien absolviert? In welchen Punkten haben sie mich weitergebracht? Welche Prozesse habe ich dadurch durchlaufen? Was waren ihre Vor- und Nachteile? Welche Bedürfnisse von mir wurden da erfüllt und welche nicht? Was war der Preis / was wurde von mir verlangt (Krankenstatus, Annahme der Diagnose, Hausaufgaben, Rolle des guten Klienten spielen, der sich um seine Genesung bemüht?)? Was habe ich dafür bekommen (Verständnis, Empathie, Hilfestellung, Zuwendung?). Durfte ich in der Therapie so sein, wie ich wirklich bin?
- Habe ich bereits Diagnosen erhalten? Identifiziere ich mich damit?
- Wenn ich die für mich perfekte Therapie / Begleitung kreieren würde, wie würde sie aussehen?
- Bin ich bereit, meine Therapie selbst zu bezahlen? Oder bin ich noch geizig mit mir und / oder würde gern die Verantwortung diesbezüglich an jemand anders (z. B. an die Gemeinschaft, z. B. die Krankenkasse) abgeben? Falls ich zurzeit wenig Geld habe oder arm bin: Kann ich mir überhaupt vorstellen, jemals genug Geld für eine Therapie zu haben oder ist es, z. B. aus tiefem Mangelgefühl heraus, nicht einmal vorstellbar?
- Bin ich bereit, die Opferrolle abzulegen und Selbstverantwortung zu übernehmen? Auch die Verantwortung für meine Prozesse und meine Heilung? Wo finde ich die dafür notwendige Unterstützung?
- Habe ich Angst, dass in der Therapie Dinge ans Licht befördert werden, für die ich vielleicht noch nicht bereit bin? Welche Gefühle bereitet mir das? Habe ich Angst davor, dass die Therapie mein Leben und meine Beziehungen auf den Kopf stellen könnte?
- Habe ich ein Problem damit, mir einzugestehen, dass ich Hilfe und Begleitung brauche? Verbinde ich damit ein Gefühl von Schwäche, das ich gern vermeiden möchte?
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