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Das Bessere ist nicht das Gute. Oder: die verdeckte Arroganz

 

Inhaltsverzeichnis

 

Wir alle wollen etwas Besseres. Oder etwas besser machen. Das Gute, sofern wir es überhaupt kennen, reicht uns nicht. Der Griff nach den Sternen lockt, dabei befindet sich das Gute direkt vor unserer Nase oder ist sogar direkt in uns drin. Warum sind wir denn dem Guten gegenüber so abfällig oder erkennen es erst gar nicht, denken, es wäre irgendwie fehlerhaft und nicht gut genug?

Die verdeckte Arroganz wird indirekt sichtbar

Neulich beichtete mir eine Klientin, dass es ihr schwer fällt, Hilfe anzunehmen, weil sie denkt, die Hilfe könne nicht gut genug sein. Auf den ersten Blick sieht es absolut nachvollziehbar aus. Die Angst ist sicherlich berechtigt, wurde doch in ihrem bisherigen Leben wenig auf ihre Bedürfnisse eingegangen oder sie hat nicht das Richtige bekommen. An manchen Stellen kehrte es sich vielleicht sogar in Nicht-Liebe, Kontaktabbruch und Gewalt um. Wenn man aber aus der jetzigen erwachsenen Perspektive genau hinsieht, sieht man, wie sie versucht, die Kontrolle zu behalten und sich ein Stück aufzuwerten, sich auf diese Art zu stabilisieren. Der Verzicht auf die Hilfe bringt einen Aspekt der Selbst-Aufwertung mit sich. Denn: Wenn ich davon ausgehe, dass die / jede Hilfe nicht gut genug ist und meinen Bedürfnissen nicht entsprechen kann, kopple ich mich ein Stück von der Wirklichkeit ab, bin sogar in einer besseren Wirklichkeit, in der mich die (vermeintlich oder tatsächlich) unzulängliche Hilfe nicht erreichen kann. Ich bin sogar besser, da ich es erkenne und das, was nicht gut genug ist, ablehne. Der Leser merkt die Konsequenzen: Man ist einsam, auf sich alleine gestellt, bekommt wahrscheinlich nicht die Hilfe, die man braucht, auch wenn sie nicht perfekt ist, wird aber dafür in seinen Grundsätzen und in seinem latenten „Besser-Sein“ bestätigt. (Ich gehe hier das Risiko ein, dass meine Beschreibung der verdeckten Arroganz arrogant ankommen könne. Die Sachverhalte sind für mich wertfrei und einfach nur menschlich. Der Klientin gegenüber empfinde ich Empathie, aber auch Ruhe und Zuversicht, dass sie ihren Weg gehen wird. Aber wer weiß, auf welchen Boden die Beschreibungen hier treffen. Also, lieber Leser, ein paar Trigger gehören dann zu den Texten dazu. Und ich habe keinerlei Bestreben es besser zu machen, denn es ist gut so, wie es ist. ;-) )

Nicht gut genug sein

Dieses Muster, nicht gut genug zu sein oder die Angst, nicht gut genug zu sein, haben viele Menschen. Es klingt irgendwie bescheiden. Man macht sich kleiner, als man in Wirklichkeit ist. Man legt (egoistische) Ansprüche ab, hat kein hohes Geltungsbedürfnis. Das macht die Menschen meistens auch zu recht angenehmen Zeitgenossen, es sei denn, man lässt sich auf eine nähere und tiefere Beziehung ein. Da folgt manchmal das Drama oder das Leiden, auf welcher Ebene auch immer. Auch das „Nicht gut genug sein“ ist ein Abstandhalter und hat eine versteckte arrogante Note drin, denn dann bin ich besser als diejenigen, die eben ein hohes Geltungsbedürfnis haben oder Ansprüche erheben. Und so werden Bescheidenheit und Arroganz zu Zwillingsschwestern.

Besser ist nicht gut. Manchmal gar nicht gut...

Denken Sie einmal an all die Eltern, die es besser machen woll(t)en als ihre eigenen Eltern. Das scheint ein lobenswertes Vorhaben zu sein, aber: Das wirklich Gute für das Kind ist es nicht, denn auch hier richtet sich das Selbstbild der Eltern nach ihren eigenen Maßstäben (ob sie gute oder schlechte Eltern, und v. a. bessere als die eigenen sind) und nicht an dem, was ein Kind tatsächlich braucht. Und so fügen sie unbemerkt ihrem Kind den gleichen Schaden zu, wie sie ihn selbst zugefügt bekamen, nur in einer anderen Form. Die Botschaft bleibt gleich: Hier geht es nicht um dich, sondern um mich. Bestätige mir, dass ich eine gute Mutter / ein guter Vater bin. Bestätige mir, dass ich die Elternrolle besser beherrsche als....

Überhaupt sind schon so einige Dinge schief gelaufen, indem man versucht hat etwas noch besser zu machen. Haben Sie schon einmal versucht ein gutes Rezept, das Ihnen gut gelingt, noch weiter zu verbessern? Nein, nicht einfach abzuwandeln oder etwas anderes auszuprobieren, sondern wirklich gezielt zu verbessern? Noch nicht! Versuchen Sie es mal! Lassen Sie es sich besser schmecken! ;-)

Oder versuchen Sie manchmal das Wetter verbessern zu wollen, allein in ihren Gedanken? Wie schön wäre es doch, wenn jetzt Sommer wäre! Habe ich Sie erwischt? Gut so. Vom Kopf wissen Sie sicherlich, dass der Winter gut ist – er fügt sich in die Zusammenhänge ein und alles andere, die Bäume, die Tiere, die Insekten usw., fügen sich in den Zusammenhang des Winters ein. Nur Sie nicht? Oder nur wenn es sonnig und klar ist? Dadurch halten Sie den Winter als das Gute auch auf Abstand und fügen sich in den rhythmischen und klimatischen Zusammenhang nicht ein, betrachten sich nicht als einen Teil dieses Zusammenhangs, was ebenfalls überheblich ist. Die Lösung? Hören Sie auf damit und lassen Sie sich komplett auf den Winter und seine Energie ein. Ja, Altes und Schmerzliches wird sicherlich hochkommen, aber vielleicht auch ein ungewohntes angenehmes Gefühl von Stille, Gemütlichkeit und Ruhe. Einige Menschen mögen nicht, dass der Winter so viele dunkle Tage mit sich bringt. Werten Sie das Dunkle nicht ab. Es ist auch in Ihnen. Nutzen Sie die dunkle Jahreszeit um das eigene Dunkle zu erforschen. Schließen Sie Frieden damit! Es ist weder schlecht noch böse, es hat sich bislang Ihnen in Ihrem Leben vielleicht so gezeigt. Schauen Sie genauer hin. Die Wahrheit über das Dunkle sieht anders aus.

Wer bestimmt das Maß?

In einer anderen Sitzung kam heraus – übrigens ein häufiges Ergebnis –, dass die Klientin ihr richtiges Maß (an Talenten, an Kraft, an Lebensgeschenken) nicht annimmt. Durch ihre Erziehung und auch durch das gesellschaftliche Umfeld bedingt achtet sie darauf, nicht maßlos zu sein, zumal sie nach objektiv-materiellen Maßstäben es gut im Leben hat, jedenfalls besser (auch hier ein Vergleich) als andere. Ihr Lebensweg bzw. die Stationen auf Ihrem Lebensweg, die vor ihr liegen, zeigen aber auf, dass da noch ungeahnte (innere) Reichtümer und Geschenke auf sie warten. Erschreckt äußert sie, dass das doch maßlos wäre. Ich reagiere spontan und sage, dass es um das richtige Maß geht, nicht um die Relation (z. B. zu jemand anders). Mit einer Hand zeige ich ihr das richtige Maß an, das recht hoch angesetzt ist. Mit der anderen Hand zeige ich ihr das Maß, das sie als maßlos einschätzt. Es liegt unterhalb des richtigen Maßes. Und so ist sie – unbemerkt und im direkten Sinne –  das, was sie so sehr befürchtet: maß-los, also ohne das richtige Maß. Um das richtige Maß annehmen zu können, wird sie die Vorstellungen von positiv und negativ, gut und böse / schlecht aufgeben müssen. Diese Vorstellungen resultieren aus unserer engen, ego-zentrierten Sicht auf die Geschehnisse: Was tut mir gut? Was schadet mir? Diese Sichtweise ist im alltäglichen Kontext absolut gerechtfertigt und es ist nicht sinnvoll, sie komplett aufzugeben. Sie ist auch äußerst variabel. Stellen wir uns folgende Situation vor: Ihnen flattert eine Kündigung ins Haus. Sie sind aufgebracht, fühlen sich nicht wertgeschätzt und ungerecht behandelt. Eine Kündigung schadet Ihnen, Ihrem Ansehen, Ihrer (finanziellen) Sicherheit. Sie kämpfen dagegen an, engagieren einen Anwalt usw. Das ist auch alles absolut in Ordnung. Einige Wochen später – die Kündigung ist doch rechtskräftig – bekommen Sie ein neues Angebot, das Sie gern annehmen. Die Arbeitsbedingungen sind hervorragend, Sie sind sehr zufrieden. Mittlerweile sind Sie froh und dankbar, dass das Leben Ihnen eine Kündigung beschert hat. Vielleicht erkennen Sie auch, dass Sie von sich aus hätten kündigen sollen, da etwas nicht passte, Sie sich aber nicht getraut hatten. Die Kündigung war gut. Keine Kündigung wäre vielleicht aus der ego-zentrierten Sicht besser gewesen, aber für Ihr Leben und Ihre Entwicklung wäre das Bessere eben nicht das Gute gewesen, trotz oder auch wegen aller Unannehmlichkeiten, die es verursachte. Und so sehen Sie, dass es auf der Meta-Ebene (der übergeordneten Ebene des Lebensplans) hingegen sinnvoll ist, die Unterteilung in Gegensätze komplett aufzugeben. Und so wird das richtige (aus ihrer Sicht noch übertriebene und maßlose) Maß genau das Richtige für die oben erwähnte Klientin sein. Es wird gut sein, auch wenn es angenehme und unangenehme Aspekte haben wird. Das ist wie auf dem Foto: Wenn der gelbe Schirm der Ihre ist, nehmen Sie ihn! Auch wenn alle anderen grau sind oder grau zu sein scheinen. Auf den gelben Schirm zu verzichten, nur weil er eine andere Farbe hat, als Sie wollten, oder weil Ihnen jemand eingeredet hat, ein gelber Schirm wäre schlecht, gefährlich oder nicht-existent, oder weil alle anderen was anderes haben, ist ein Verzicht aus ego-zentrierten Gründen (Im allgemeinen Verständnis ist der Verzicht auf den Schirm selbstlos, unegoistisch. Das ist er nicht. Vielleicht nur selbstlos in dem Sinne, dass man sein Selbst los ist, sich selbst nicht entspricht, indem man die Annahme des gelben Schirms verweigert.). Nehmen Sie das, was das Ihre ist!

Es ist doch normal, etwas Besseres zu wollen oder nach etwas Besserem zu streben

Ja, das stimmt. Es ist absolut normal – im Sinne von weit verbreitet –, dass wir etwas Besseres wollen. Der Partner ist nicht gut genug, also halten wir Ausschau nach einer besseren Partie. Die Arbeit erfüllt uns nicht mehr, also suchen wir uns eine neue. Ist das gerechtfertigt oder nicht? Suchen wir dann wirklich etwas Besseres und übersehen das Gute oder kommen wir erst durch die Änderung dazu, das Gute zu finden? Das ist tatsächlich vom Einzelfall abhängig. Es kann sein, dass ich mit meiner Partnerschaft unzufrieden bin, obwohl der aktuelle Partner lebenstechnisch genau der richtige für mich ist, um mich mit mir und meinen Lebensaufgaben zu konfrontieren. Ich stemme mich aber dagegen, wertschätze weder ihn noch die Partnerschaft (mich selbst dann ja auch nicht) und hege die illusionäre Hoffnung, dass jemand anders für mich besser wäre. Es kann aber auch sein, dass es mit dem Partner tatsächlich nicht mehr weitergeht. Das, was es mit ihm zu erfüllen und zu erleben gab, ist erledigt. Die Partnerschaft fügt sich nicht mehr in den übergeordneten Lebensplan ein, die Wege trennen sich. Dann würde ich aber vermutlich auch nicht nach etwas Besserem suchen, sondern zuerst die eine Sache abschließen und dann schauen, was das Leben für mich bereithält: Vielleicht ist es gut für mich (für den Rest des Lebens oder eine Zeit lang) keine Partnerschaft zu haben. Oder es kommt eine neue auf mich zu. Alles ist möglich. Bei der Arbeitsstelle verhält es sich genau so. Der Stellenwechsel kann eine Flucht darstellen. Das Gute von der alten Arbeitsstelle, das ich gar nicht gut finde und nicht wertschätze, wird mitkommen und sich auch bei der neuen manifestieren, nur in einer anderen Umgebung und mit anderen Menschen. Habe ich meine Themen mit der alten Arbeitsstelle tatsächlich abgeschlossen, dann kommt mit der neuen Arbeitsstelle etwas Neues. Es ist auch gut für mich und fügt sich auf eine natürliche Weise in den nächsten Abschnitt meines Lebensplans. Und es wird auch angenehme und unangenehme Aspekte mit sich bringen. Unsere Vorstellung, dass wir irgendwann eine absolut harmonische und konflikt- und lernfreie Stufe in unserem Lebensplan erreicht haben, ist eine komplette Illusion und ebenfalls ein latenter Ausdruck von Arroganz, weiser und schlauer als das Leben zu sein.

Ähnlich verhält es sich mit den beruflichen Aspekten unserer Identität. Wir wollen gut sein bzw. werden, als ob wir es nicht schon wären. Will z. B. eine Frau eine gute Lehrerin sein, so will sie sich verbessern oder zumindest ihr Gut-Sein als Lehrerin bestätigt bekommen, und zwar immer wieder aufs Neue. Dabei wird sie ohnehin immer besser bzw. immer so gut, wie es ihrem Entwicklungsstand entspricht und das ist in Ordnung. Aber da fehlt ihr das Vertrauen, dass das so ist, und auch das stabile Selbstwertgefühl, dass kein „Ich will gut sein“ und kein „Besser“ braucht und ebenso wenig die Bestätigung. Kommt tatsächlich eine Bestätigung, kann sie sie dann auch annehmen, in erster Linie aber als Ausdruck des Gegenübers über sich selbst und nicht über sie betrachten. Auch die sogenannten „Fehler“ verlieren das Prädikat „schlecht“ oder „zu vermeiden“. Und so fügt sich auch die Lehrerin nun in das Gute, das bereits da ist, und einfach nur darauf wartet, gelebt zu werden – und zwar mit allen Höhen und Tiefen und allem, was dazwischen ist. Auch für mich persönlich sehe ich es als eine meiner Lebensaufgaben an, meiner Berufung zu folgen und genau das zu machen, was ich gut kann, und nicht eine noch bessere Therapeutin zu werden oder besser zu sein als die anderen und im Endeffekt – ähnlich wie beim Rezept — die Sache nur zu verschlimmbessern oder mich ego-mäßig aufzublähen. Falsche Bescheidenheit ist aber auch nicht der Weg, denn sie trifft das richtige Maß nicht, wie wir es bereits betrachtet haben. Mit dieser Frage habe ich mich tatsächlich viel beschäftigt und tue es immer noch. Ich kann in besonders tiefe Schichten vordringen, was die meisten nicht können. Anfang hielt ich es für besser es zu können, als wenn man es nicht kann. Mittlerweile sehe ich das anders. Ja, ich habe diese Fähigkeit, aber deswegen ist meine Art der Behandlung nicht besser als eine andere mit z. B. weniger Tiefgang. Meine ist gut. Die andere ist auch gut. Die jeweilige Art ist gut für genau die, die es brauchen und wollen. Punkt. Fertig. Ende. Aus. Und so stehe ich zu meinen besonderen Fähigkeiten und zu dem, was ich tue. Es ist gut so, wie es ist, und gleichzeitig entdecke ich immer etwas Neues und entwickle mich weiter. Alles zu seiner Zeit, alles in seinem Tempo.

Mir wurde Gewalt angetan. Das war gar nicht gut!

Ja, da haben Sie absolut recht! Es gibt einen Täter und Sie sind / waren das Opfer. Das hat ihnen Schaden zugefügt. Es wäre besser gewesen, wenn es Ihnen nicht passiert wäre. Auf der Meta-Ebene fügt sich aber auch diese Erfahrung ein und ist gut so, wie sie ist. Das hängt damit zusammen, dass Ihr Selbst keinen Schaden erleiden kann. Auf der Ebene der Psyche und des Körpers wurde Ihnen geschadet. Auf der tiefen Selbst-Ebene ist alles im Kern in bester Ordnung. Auf der emotionalen Ebene ist psychotherapeutische Arbeit angesagt, die die Täter-Opfer-Bindung auflöst und die Gewalterfahrung sich in die Ereignisse Ihres Lebens einreihen lässt. Sie sehen sie danach wie jede andere Lebenserfahrung. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Das ist kein einfacher Prozess und ich spreche Ihren Schmerz und Ihr Leid durch die Tat und das moralisch Verwerfliche an ihr überhaupt nicht ab. Das ist aber eine andere Ebene – die unserer Beziehungen, unseres sozialen Zusammenlebens, der Grenzen und der Verletzlichkeit, der wir in unserem Körper ausgesetzt sind. Ihr Lebensplan sieht hingegen möglicherweise etwas anderes für Sie vor: Lernen Sie aus dieser Erfahrung bis zum letzten Kern! So sind Sie gleichzeitig vor einer Wiederholung relativ sicher. Schauen Sie auf das Übergeordnete. Ja, es wird eine Abwehrreaktion hervorrufen, da es nicht in das ego-zentrierte Muster von „gut-für-mich“ vs. „schlecht-für-mich“ passt. Sie werden es schon schaffen. Dafür muss aber auch eine Schicht verdeckte Arroganz ab: Sie glauben immer noch, dass Sie besser als das Leben selbst wissen, was gut für Sie wäre? Jetzt ist es vorbei mit „hätte, hätte“. Gestehen Sie ein, dass Sie es nicht besser wissen als das Leben. Das Leben ist der wahre Lehrmeister und Ihre Aufgabe ist eine andere: die des Schülers, der das Leben erforscht und seine Erfahrungen macht. Das Leben gibt ihnen das Feedback, wie gut sie vorankommen. „Gut“ in dem Sinne, wie es für Sie bestimmt ist. Also, runter vom Podestchen und rein ins Leben mit all seinen Seiten!

Was ist eigentlich das Gute?

Jetzt habe ich schon so viel über das Gute geschrieben, ohne auf den Begriff direkt einzugehen. Der Leser kann es sicherlich auch intuitiv erfassen. Ansonsten finden sich hier noch ein paar Gedanken dazu. Inspirierend fand ich die Sichtweise von Michael Depner, der die Wörter auch immer etymologisch untersucht. Es geht also um ihre ursprüngliche Bedeutung, ihre Herkunft und ihre Verwandtschaft mit anderen Wörtern. Auf seiner Seite im Artikel „Gut und Böse“ schreibt Depner:

„Gut geht auf die indoeuropäische Wurzel ghedh- = umklam­mern, zusammenfügen, zupassen zurück. Zur selben Wurzel gehören die Begriffe Gitter, Gatter und Gatte. Das Gute ist das, was in ein übergeordnetes Gefüge passt. Ohne Über­geordnetes, zu dem es sich zusammenfügt, gibt es nichts Gutes. Zuletzt kann Gutes nur gut sein, wenn es Heiliges gibt.“

Das Gute entspringt also in Wirklichkeit nicht unserer Vorstellung, was für uns angenehm und was unangenehm wäre, sondern seinem angemessenen Platz im Rahmen der Wirklichkeit. Das haben wir in den Beispielen auch so gesehen: Das Ereignis ist gut, wenn es sich in unseren Lebensplan einfügt. Wenn es das nicht tut, dann sind wir diejenigen, die wir uns selbst schaden, indem wir dieses Sich-Einfügen verhindern, indem wir das Ereignis bzw. die damit verbundene Erfahrung nicht annehmen. Als Kinder haben wir uns häufig (unbewusst) dafür entschieden, die damals überfordernden und schrecklichen Erfahrungen nicht komplett anzunehmen und stattdessen andere Strategien und Schutzmechanismen im Umgang mit dem Leben zu entwickeln. Das ist einem Kind auch angemessen. Ohne diese Kreativität im Umgang mit den Widrigkeiten und den Traumata des Lebens hätte es nicht überlebt. Als Erwachsene führen wir diese Strategien vor, statt uns mit der Wirklichkeit (von jetzt und von damals) zu konfrontieren, und sind teilweise auf fremden Pisten statt auf dem eigenen Ur-Weg unterwegs. Das Leben ist aber klug und meint es gut mit uns, indem es uns ständig Hinweise und Menschen schickt und Situationen erschafft, in denen wir die Chance bekommen, den Schutz abzulegen und die Erfahrung komplett, also im aus unserer Sicht Guten wie im Schlechten anzunehmen und abzuschließen. Wir verlassen fremde Pisten, finden unseren Ur-Weg wieder und werden frei für Neues. Also, legen wir die Arroganz ab, besser zu sein als jemand anders, auch durch Bescheidenheit und die Nicht-Annahme des uns Zustehenden. Und legen wir die Arroganz ab, besser zu sein und es besser zu wissen als das Leben. Die Gefüge, in die sich das Gute einfügt, werden vom Leben selbst gestaltet und auch der Entwicklung entsprechend angepasst. Vertrauen wir also auf das Leben und nehmen wir das Gute! Und hören wir auf nach dem Besseren zu suchen. Denn das Gute ist bereits vollumfänglich da.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Was ist am ehesten mein Muster der Selbst-Aufwertung: Bin ich eher der bescheidene Typ oder eher der arrogante im klassischen Sinne?
  • Welche Rückmeldungen habe ich bislang über mein Verhalten bekommen: Wurde mir nie / manchmal / häufig Arroganz vorgeworfen?
  • Kann ich Arroganz auch in den Gesichtern von anderen Menschen erkennen? Auch ihre versteckten Züge? Was löst sie in mir aus? Distanz? Ablehnung? Neugierde? Etwas anderes?
  • Will ich mich verbessern? Will ich eine gute Mutter / ein guter Vater sein? Besser als meine Eltern? Sehe ich die Gefahren davon und wie ich das Kind für meine Selbst-Aufwertung dadurch benutze? Was ist mit dem Beruflichen? Will ich gut in meinem Beruf sein und die Bestätigung dafür bekommen? Vielleicht will ich sogar besser sein als die anderen?
  • Bleiben wir beim Beruflichen: Bin ich vielleicht sogar so gut, dass ich unentbehrlich geworden bin? Denke ich, dass nur ich die Aufgaben so gut erledigen kann und alle anderen es nicht so gut können? Melde ich mich deswegen z. B. nicht krank, damit die Arbeit nicht bei jemand anders landet? Erkenne ich das Arrogante an diesem Verhalten?
  • Was waren die schlechtesten Erfahrungen in meinem Leben? Warum betrachte ich sie weiterhin als schlecht? Wenn ich von oben oder von der Seite auf mich schauen würde: Was habe ich durch diese schlechten Erfahrungen gelernt? Habe ich die Lektion wirklich komplett gelernt oder ist die (schlechte) Erfahrung noch nicht abgeschlossen? (Das muss sie wohl sein, sonst wäre sie ja nicht mehr schlecht.)
  • Warum nehme ich nicht all das Gute nicht an, das direkt vor meiner Nase ist? Warum schaffe ich Distanz dazwischen und werte es ab?
  • Nehme ich meine Talente und (besonderen) Fähigkeiten nicht voll und ganz innerlich ab? Erwarte ich dann den Ausgleich dafür, indem ich von anderen Menschen Wertschätzung für mein Werk, das diesen Talenten und Fähigkeiten entstammt, erwarte? Bin ich dann enttäuscht, wenn die Wertschätzung ausbleibt oder nicht meinen Maßstäben entspricht? Erkenne ich die Arroganz in meinem Verhalten anderen Menschen gegenüber, indem ich ihnen vorwerfe, mein Werk nicht oder nicht genug / nicht auf die richtige Art wertzuschätzen?

 

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