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Musik und Therapie

 

In letzter Zeit höre ich wieder viel Musik. Besonders Alice in Chains. Der Song "Voices" trifft den Kern meiner Therapietätigkeit: 

Who am I, is this me? 
Am I one or thirteen? 

Und weiter:

Calling out the names, faces
Uniforms I've worn
And all that is gone
Always climbing
To fall down again
Holding onto everything
It's not what it seems

Diese Worte sprechen zu vielen Menschen und drücken genau das aus, was sie empfinden. Es entsteht eine besondere Verbindung mit dem Künstler. Was ist aber mit dem Künstler? Erfährt er durch seine Musik auch eine Art Therapie?

In seinem Buch "When The Body Says No" geht Gabor Maté auf diese Fragestellung ebenfalls ein und beschreibt, wie eine begnadete Cellistin mit ihrer höchst feinfühligen Vorstellung das Publikum in ihren Bann zog. Ihr Spiel war absolut authentisch. In ihrem restlichen Leben versteckte sie aber ihr wahres Selbst und erlag einer schweren Krankheit. 

Der Ausdruck von Emotionen kann heilend sein, ist er aber meistens nicht. Ich stelle es mir so vor, dass die Emotionen ausgedrückt worden sind  – bis zum nächsten Mal eben, bis sie sich wieder angestaut haben. Das Ausdrücken ist also das Gegenteil von Unterdrücken und beides führt höchstwahrscheinlich nicht zur Integration und zur Verarbeitung der dahinterliegenden Erfahrung. Das Unterdrücken unterbindet es komplett und das Ausdrücken macht es in manchen Fällen z. T. möglich. 

Was macht aber die Musik von Jerry Cantrell (Solo und Alice in Chains) so tiefgründig? Laut wikipedia lernte Jerry seinen Vater erst mit 3 Jahren kennen, als dieser aus dem Krieg zurückgekehrt war. Niemand kommt psychisch unversehrt aus dem Krieg zurück. Das heißt aber auch, dass er seine erste Zeit mit einer Mutter verbrachte, die alleine war und wahrscheinlich um das Leben ihres Mannes bangte. Seine Eltern ließen sich 4 Jahre später scheiden, noch ein Verlust. Seine Kindheit war von Armut geprägt. Als er 21 war, verstarben seine Großmutter und seine Mutter innerhalb kürzester Zeit. Seine Freunde sagten, dass diese Verluste ihn stark veränderten. Er sei nicht mehr derselbe gewesen. Seit 2003 ist Jerry clean. Drogen- und Alkoholprobleme begleiteten ihn eine lange Zeit. Solche Geschichten haben aber viele Menschen. Was macht seine so besonders? Er hat eben diese natürliche Feinfühligkeit, die trotz widriger Lebensumstände erhalten blieb und sich auf eine ganz natürliche Weise im Songwriting, Gitarre-Spielen und Singen (Ich finde, er unterschätzt seine Vocals!) ausdrückt. Okay, das Talent haben bestimmt auch so einige Leute, aber er nutzt es! Jedes Mal, wenn ich seine Musik höre, frage ich mich, wie das möglich ist. So schlicht, so ergreifend und so genial! Da muss doch etwas in einem sein, ein sehr starker innerer Kern, der das möglich macht. Einige seiner Freunde sind tot; er lebt und kreiert.

Mein Fazit? Musik und auch jede andere Art von Kunst spricht auf einer anderen Ebene zu uns, hilft uns durch gute und schlechte Zeiten, bestärkt uns im Selbstausdruck. Dadurch kann sich einiges lösen, muss es aber nicht. Dann bedarf es vielleicht doch einer Begleitung, die hilft, das Unterdrückte oder das immer wieder auf die gleiche Art Ausgedrückte einfach im Hier und Jetzt zu halten und danach loszulassen. Jerry Cantrell beschreibt sein Verhältnis zu Drogen in diesem Interview von 2019 bezüglich der GRAMMY-Nominierung seiner Band. Es sieht ganz danach aus, dass das Komponieren und Aufnehmen ihm half, mit Dingen fertigzuwerden. Nach seinem ersten Solo-Album war er aber vollends am Boden und ist in eine Entzugsklinik gegangen. Seitdem ist er trocken. Respekt! 

  

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