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Die Bindungen zu den Eltern lösen

 

Inhaltsverzeichnis

 

Viele erwachsene Menschen sind noch an ihre Eltern gebunden und damit nicht frei, ihr eigenes Leben zu leben. Diese Bindungen sitzen tief und lassen sich häufig durch ein Nachdenken darüber nicht ermitteln. Eine Klientin von mir meinte zu mir: "Als du mir sagtest, es geht um das Thema "selbständig sein", wunderte ich mich im ersten Moment, wo ich denn in meinem Leben nicht selbständig bin. Ich bin doch selbständig." Die Aha-Effekte kamen aber später. Schauen wir uns das Schritt für Schritt an.

Bindung ist nicht dasselbe wie Beziehung

Bindung und Beziehung werden häufig verwechselt! Wenn man davon spricht, dass es sinnvoll ist, die Bindungen, z. B. zu den Eltern, zu lösen, denken viele Menschen sofort an einen Kontaktabbruch. Das ist damit aber nicht gemeint, da es sich um verschiedene Ebenen handelt. Auf der Beziehungsebene geht es um die Begegnung und den Austausch zwischen zwei Individuen, zwischen zwei Ichs. Auf der Bindungsebene geht es um energetische Verbindungen, die durch die Vorgeschichte der beiden Personen vorbelastet sein können. Und so wirken sich vorbelastete Bindungen negativ auf Beziehungen aus. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, diese alten Bindungen zu lösen, damit sie die aktuelle Beziehung nicht mehr belasten. Damit wird auch die Verbindung zu sich selbst gestärkt und vertieft.

Bindungen, koste es was es wolle, sind für Babys und Kleinkinder überlebenswichtig. Für einen Erwachsenen ist das nicht mehr angemessen. Er sollte imstande sein, seine Bindungen zu überprüfen und alle, die nicht mehr angemessen sind, zu lösen. Ansonsten läuft er die Gefahr, dass auch seine Beziehungen sich immer wieder nach alten Mustern wiederholen, das meist nicht zu seiner höchsten Zufriedenheit.

Wie man Bindungen trennt

Bindungen zu trennen ist an sich nicht schwer. Es muss der Wille dazu vorhanden sein und dann kann man mithilfe einer Technik (s. Liste am Ende des Beitrags) die Bindung lösen. Das Schwierige besteht darin, überhaupt zu diesem Entschluss zu gelangen. Man redet sich ein, es wäre doch alles gut oder es würde an etwas anderem liegen (Schicksal, Gene etc.). Oder man hat Verbote verinnerlicht, Bindungen auflösen zu dürfen. Man trägt Abgrenzungsverbote in sich. Oder sie sind so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man sie überhaupt nicht merkt. Das innere Gefühl ist so verwirrt, dass man nicht einmal wahrnimmt, dass etwas nicht stimmt. Oder man will es nicht wahrhaben, obwohl die aktuellen Beziehungen und die Symptome, die man entwickelt hat, eine andere Sprache sprechen. Schauen wir uns doch ein paar konkrete Beispiele aus der Praxis an!

Mama zuliebe verzichte ich auf meinen Körper

Bei einer Klientin fiel mir auf, dass sie im Prozess immer wieder ihr Körpergefühl verlor. In den ersten Sitzungen gingen wir damit so gut um, wie es möglich war. An manchen Stellen stellte sich das Körpergefühl ein, an anderen nicht. Bei einer Folgesitzung stellte sich die Frage nach dem Körpergefühl zentral, zumal die Klientin die Vermutung äußerte, dass vorgeburtlich etwas vorgefallen sein muss. Ich ließ sie für die vorgeburtliche Situation nicht nur die damals relevanten Personen (Mutter, Baby) aufstellen, sondern auch deren Körper. Spannend war, dass die Klientin ihrem Körper keine Farbe zuweisen konnte, ihn farblos, praktisch ätherisch sah. Das entsprach auch meiner Wahrnehmung, dass sie manchmal körperlos wirkte. Sie stellte eine Dreierreihe auf, in der alle ineinander gehakt waren: sie selbst, ihr unsichtbarer Körper und der Körper der Mutter. Die Botschaft war: "Mama zuliebe verzichte ich auf meinen Körper" – eine extreme Überlebenstaktik in einer extremen Situation. Ein sehr hoher Grad von Identifizierung. Ohne den Körper keine Selbständigkeit! Also entschied sich die Klientin, ihren Körper zurückzuerobern, also den Verzicht rückgängig zu machen und zur Mutter eine innere Grenze zu etablieren. Das gelang ihr, so dass sie ihren Körper auf einmal in einer Farbe sah.

Grundsätzlich ist es typisch, dass Menschen mit schweren frühen Traumata (z. B. vorgeburtlich: überlebter Abtreibungsversuch, überlebte Abneigungsgefühle der Mutter dem Kind gegenüber, überlebte Medikamentengabe, Todesnähe usw.) sich nicht komplett verkörpern können. Da bringt es auch nichts ihnen zu sagen, sie sollen in ihren Körper spüren und, wenn es nicht geht, es lernen. Man wird gegen diese Identifizierung / Bindung an die Mutter niemals ankommen, es sei denn, man löst sie. Die Bindung kann natürlich auch emotionaler Natur sein, es können noch Vorwürfe, Wut und Hass im Raum stehen (s. folgendes Beispiel) oder sie kann einen Körperteil betreffen (s. auch den Artikel "Bauchschmerzen, Zwangsgedanken, die „Schwarzen Jahre“ mit Bulimie und die Einladung zur Transformation – eine Fallgeschichte")

Mama und Papa zuliebe verzichte ich auf die Liebe

Eine andere Klientin, eine hübsche kluge junge Frau, hat eine massive Symptomatik entwickelt, die ihr ein Rätsel war. Die innere Arbeit ergab relativ schnell, dass die Symptomatik auf einen heftigen Liebesmangel in der Eltern-Kind-Beziehung zu führen war. Die Klientin selbst war ein sensibles Kind. Die Liebe, die ihr zuteil wurde, war eine Vernunfts-Liebe, also eine Liebe, die den Kopf, aber nicht das gesamte Sein erfasste. Dadurch ist ein massiver Mangel entstanden, der der Klientin nicht bewusst war. Ihre Lösung für diese extreme Situation war: "Mama und Papa zuliebe verzichte ich auf die ganzheitliche Liebe. Ich glaube, dass mir Liebe von Ihnen zuteil wurde". Natürlich suchte und sucht sie die Liebe weiter in ihrem Leben, aber zuerst muss sie sie in sich selbst finden, sonst läuft sie Gefahr, an Menschen (Männer) zu geraten, die genauso einen Liebesmangel in sich tragen wie sie selbst. Dafür müsste sie sich zuerst den Liebesmangel eingestehen und daraufhin die Bindungen zu ihren Eltern trennen und sich die Liebe, Stück für Stück, selbst geben. Es geht nur Stück für Stück, weil 1) jede Portion Liebe auch alten Schmerz wachruft, der erst einmal angenommen werden muss; 2) nach so einem Wahnsinnshunger man nicht so viel aufnehmen kann (ähnlich wie nach dem Fasten).

Noch weiter außerhalb des Bewusstseins dieser Klientin liegt die Erkenntnis, dass sie an ihre Eltern durch ihre Wut auf sie und vielleicht sogar durch Hass für ihre erzwungene Selbstaufgabe und Lieblosigkeit gebunden ist. Das Gefühl dafür musste sie aber weit abspalten, was auch die Stärke ihrer Symptome erklärt.

Aus der Vernunft-Liebe können weitere Muster entstehen: Ehrgeiz und Perfektionismus.

Das unsichtbare Kind: Es gibt nur ein Wir und kein Ich

Eine andere Klientin hat sich als Kind unsichtbar gemacht. In ihrer Herkunftsfamilie gab es keinen Platz für ein individuelles Kind. Es gab ein verschmolzenes Wir (Merke: Ein echtes Wir kann nur entstehen, wenn jeder ein starkes Ich hat!) und kein Ich. Für ihre Bedürfnisse gab es keinen Platz. Stattdessen entschied sie sich, sich anzupassen und die Liebe auch eher vernunftsmäßig (gute Schülerin etc.) oder durch die Jagd nach Anerkennung durch ein Handeln ihrerseits, das eine Autorität für gut befindet, zu verdienen. Und so bekam sie nie das, was sie brauchte, gab die Hoffnung aber nicht auf und strengte sich immer weiter an. Im Hintergrund lief aber ein weiteres heftiges Muster ab:

Der ganz alltägliche Größenwahn

Da die Klientin ihre Mutter als schwach und belastet erlebte, nahm sie ihr möglichst alle Lasten ab. Als sie ihr Muster erkannte, war sie ihres eigenen Größenwahnsinns bewusst: "Kein Mensch kann so viele Lasten tragen, aber von mir erwarte ich, dass ich das kann!" Es ist ein überhebliches, ja in der Tat ein größenwahnsinniges Muster: Man ist stärker, größer, belastbarer als jeder andere Mensch auf der Welt! Man kann etwas tragen und ertragen, was andere Menschen nicht können! Das äußerte sich auch im Alltag: Die Klientin belud sich mit vielen Aufgaben und war in fremden Bereichen unterwegs, die gar nicht die ihren waren. Die Lösung bestand darin, sich von dieser Last und dieser Überheblichkeit zu befreien. Auf dem Boden der Tatsachen angekommen gab die Klientin die Last an die Mutter zurück, worauf hin sie sich befreit und federleicht fühlte. Ein Kind weiß übrigens nicht, dass es durch die Übernahme von Lasten sowohl die Mutter als auch sich selbst schwächt. Es denkt, es tut etwas Gutes und gewinnt dadurch an Selbstwert, wird größer und stärker als die Mutter. Eine Position, die einem Kind gar nicht entspricht! All diese geht natürlich auf Kosten der eigenen Bedürfnisse und des eigenen Kind- und Frei-Seins. Die Lebensfreude stirbt ab. Auch das innere Kind der Klientin äußerte ihr gegenüber: "Lädst du dir fremde Sachen auf, geht es immer auf meine Kosten. Wir haben genug eigene Themen, mit denen wir uns beschäftigen sollen! Lädst du dir keine fremdem Lasten auf, fühle ich mich frei und lebensfroh!" Das saß! Und die Loslösearbeit geht in die nächste Runde...

Die Spaltung: Die gute und die böse Mutter

Häufig tritt bei ungelösten Bindungen das Phänomen der Spaltung ein. Das Kind muss sich ja auch spalten, also vitale Teile von sich abspalten, um zu überleben, wenn ihm nicht mit bedingungsloser Liebe begegnet wird. Und so hat es auch ein gespaltenes Bild von seinen Eltern: Es gibt die gute und die böse Mutter. Oder den guten und den bösen Vater. Eines der Bilder ist im Vordergrund, das andere im Hintergrund. Die meisten Kinder sehen dann ihre Mutter als die gute Mutter und spalten ihre böse Seite ab. In meiner Lebensgeschichte war es z. B. umgekehrt. Fakt ist aber, dass man sich bei einer Spaltung nicht lösen kann. Man kann sich erst lösen, wenn das Gesamtbild da ist, also, wenn man die Mutter (oder den Vater) so sieht, wie sie wirklich war / ist und nicht aus der kindlichen Vorstellung von gut und böse. Dafür müssen zuerst beide Anteile, die gute Mutter und die böse Mutter, konfrontiert und als kindliche Überlebensstrategie enttarnt werden. Daraufhin erscheint die Mutter (der Vater) so, wie sie wirklich ist. An dieser Stelle kann dann die Loslösearbeit stattfinden.

Verstorbene Eltern

Wenn die eigenen Eltern bereits verstorben sind, wurden im Trauerprozess einige Bindungen aufgelöst. Häufig gilt das aber nicht für Bindungen, die vorsprachlich geknüpft worden sind. Sie bestehen weiter. Das erwachsene Kind hält noch unbewusst an den verstorbenen Eltern fest, was es daran hindert, seinen Lebensweg frei und gezielt weiterzugehen. Diese Loslassarbeit ist besonders intensiv und gleichzeitig besonders befreiend. Die finale Aussprache und der Abschied vervollständigen den Loslassprozess. Die Eltern gehen ins Licht. Das erwachsene Kind wendet sich seinem Leben voll und ganz zu.

Eltern von Teenagern können den Loslöseprozess beeinflussen

Wenn Sie selbst Mutter oder Vater sind, fragen Sie sich sicherlich, wie Sie so etwas bei Ihrem Kind verhindern können. Befindet sich Ihr Kind in der Pubertät, können Sie Ihrem Kind (und sich selbst) das Leben leichter machen, indem Sie die Lösung der Bindungen von Ihrer Seite aus übernehmen. Das befreit Ihr Kind: Es kann sich seinem Erwachsenwerden, seinen Lern- und Entwicklungsprozessen leichter zuwenden. Auch Sie sind wieder frei oder freier, sich Ihrem eigenen Leben zuzuwenden, statt z. B. Ihre Ängste und Sorgen oder Überreste aus Ihren eigenen Eltern-Kind-Geschichten auf Ihr Kind zu projizieren. Erlauben Sie Ihrem Kind, sich von Ihnen zu lösen. Erlauben Sie es auch sich selbst, sich von Ihren Eltern und anderen Menschen zu lösen und sich wieder auf Ihren Weg zu begeben, sofern Sie davon abgekommen sind. Und auch hier keine Sorge: Das Lösen von Bindungen wirkt sich konstruktiv auf Beziehungen aus.

 Wie Sie Bindungen selbstständig lösen können (eine Methodenauswahl mit Links & Buchempfehlungen)

Wenn Sie nicht in die Praxis kommen wollen, können Sie einige Loslöse-Prozesse bis zu einem gewissen Grad selbständig begleiten oder vorantreiben. Sie werden dafür einige Methoden lernen müssen. Ich empfehle das all meinen Klienten. Ich nenne hier eine Auswahl. Da ist sicherlich für jeden Geschmack etwas dabei.

  • Ero Langlotz, ein bekannter systemischer Therapeut, hat auf seiner Seite mehrere sehr detaillierte Anleitungen zur Selbsttherapie. Man braucht dafür ein paar Stühle und Kissen, Zeit und Raum. Die Anleitung druckt man sich am besten aus und befolgt sie Schritt für Schritt. Hier die Basis-Anleitung zur Lösung der Bindung von der Mutter und zur Verstärkung der inneren Verbindung zum eigenen Wesenskern. Live-Beispiele mit Gruppen und Einzelklienten findet man auf seinem YouTube-Kanal.
  • Phyllis Krystal: Die inneren Fesseln sprengen – Dieses Buch beinhaltet eine sehr detaillierte Anleitung, wie man die Bindungen zu den eigenen Eltern löst. Einige bezeichnen es als "Cutting". Ein wichtiger Schritt besteht darin, stattdessen eine Verbindung zu den kosmischen Eltern aufzubauen. Die kosmischen Eltern kann man sich als perfekte Eltern-Repräsentanzen vorstellen. Mutter Erde und Vater Himmel. Oder die Archetypen der guten Eltern. Oder Erde und Licht. Es sind sehr wirkungsvolle Instanzen. Wer echte Sicherheit und Liebe in seinem Leben sucht, ist gut beraten, sich mit diesen Archetypen zu verbinden.
  • Eine einfachere Version und Anleitung davon befindet sich auf der Seite von Andreas Rebmann: s. den Artikel zu "Cutting".
  • Mike Hellwig: Befreie dein inneres Kind: Wie Sie sich selbst geben, was Ihnen Ihre Eltern nicht gaben – Auch dieses Buch beinhaltet eine detaillierte Anleitung, wie man die innere Elternrepräsentanz, die noch durch eigene Eltern besetzt ist, durch eine innere Elterninstanz ersetzt und damit den eigenen inneren Kind-Anteilen das gibt, was ihnen fehlte und immer noch fehlt.
  • Roswitha Stark: Familienstellen mit Symbolen – Dieses Buch führt in die Methode der systemischen Aufstellungen auf dem Papier an. Man kann damit alle Verbindungen harmonisieren, also auch Bindungen und Beziehungen zwischen Menschen. 

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Habe ich mich von meinen Eltern gelöst? Führe ich ein autonomes Leben?
  • Welche Beispiele und Muster aus dem Artikel kommen mir bekannt vor?
  • Bin ich bereit, zu überprüfen, wo noch alte Bindungen wirken, und diese zu lösen?

  

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