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Ehrgeiz – das fremdbestimmte Element und die Suche nach sich selbst

 

Inhaltsverzeichnis

 

Die Normalität des Ehrgeizes 

Ehrgeizige Menschen haben in unserer Gesellschaft Hochkonjunktur: fleißig, Geschäfte treibend, immer weiter lernend, nach mehr strebend – was will man mehr? Früh wird man darauf geprägt. Unser gesamtes Schulsystem ist auf Ehrgeiz aufgebaut: Noten, Notenspiegel, Klassenbeste. Ebenfalls viele Glaubenssätze. So etwas wie: "Ohne Fleiß kein Preis". Oder "Von nichts kommt nichts". Auch wenn diese Sätze ein Körnchen Wahrheit enthalten – ohne Übung wird aus dem größten Talent nichts – zielen sie doch auf etwas anderes ab: Man muss sich anstrengen, man muss sich beweisen und v. a. muss man die Anstrengung sichtbar machen.

Der "Ehrgeiz" des Kindesalters

Nicht zu verwechseln ist der Ehrgeiz, von dem ich spreche, mit "ehrgeizigen" Kleinkindern. Zum x. Mal fällt Klein-Max auf die Nase. Unbeirrt steht er auf und nimmt seine Gehversuche wieder auf. Klein-Tina baut einen Turm. Als er zu hoch wird, stürzt er ein. Sie jauchzt und fängt von vorne an. Die Kinder sind dabei voll bei sich und voll fokussiert. Sie verfolgen ihr Ziel um des Prozesses willen, nicht – wie später zur Schulzeit – um eine gute Note zu bekommen, ihre Eltern zufriedenzustellen etc. Auch ihre Körperhaltung ist eine ganz andere als die eines ehrgeizigen Erwachsenen. Ihr Nacken ist entspannt. Der Kopf steht nicht hervor, sondern ruht über dem Körper. Die Armbewegungen kommen nicht nur aus dem Schultergelenk, sondern aus dem Rumpf und aus den Beinen. Ganz anders der maximal ehrgeizige Erwachsene: Verspannter Nacken, hervorstehender Kopf, die Arme und Hände in Bewegung und der Rest des Körpers sorgt nur dafür, dass das so weitergehen kann. Dieser Zustand ist bei einem ehrgeizigen Menschen so selbstverständlich, dass er ihn für seine erste Natur hält, was nicht stimmt. Auch will der ehrgeizige Mensch das Ergebnis bestimmen sowie den Prozess, also das Tempo, die Inhalte usw. Am liebsten überspringt er sogar Stufen, um schneller da zu sein. Das macht ein (Klein-)Kind nicht. Der Prozess (und das Ergebnis) sind bereits angelegt und so folgt das Kind dem Prozess-Plan, Stufe für Stufe, und zwar so lange, wie es eben braucht. Es denkt nicht: Wenn ich nicht so schnell lernen laufe wie Anna, bin ich nichts wert / habe ich versagt. Die meisten Erwachsenen erfreuen sich an diesen natürlichen Prozessen und freuen sich mit dem Kind. Es gibt aber auch hier eine ehrgeizige Eltern-Sorte, die das Kind weiter anspornt oder vor anderen Eltern angibt, was der eigene Nachwuchs bereits kann. Besonders tragisch: Wenn dann Entwicklungsschritte (z. B. das Krabbeln) übersprungen werden. Diese Lern-Erfahrungen und Prozesse fehlen dann später.

Die Fremdbestimmung

Der Ehrgeiz ist also fremdbestimmt. Was heißt das aber? Die Fremdbestimmung ist das Gegenteil von Selbstbestimmung, das ist schon mal klar. Dabei halten wir uns häufig für selbstbestimmt, obwohl wir es nicht sind. Wie kommt das zustande?

Wir setzen Selbstbestimmung mit Willenskraft und unserem Ich gleich. Wir denken: Wenn unser Ich sich dazu entscheidet, etwas zu tun, dann ist es selbstbestimmt. Wenn jemand anderes für uns entscheidet, dann ist es fremdbestimmt. An sich eine einfache und logische Rechnung, die aber so nicht stimmt. Rufen wir uns erst einmal den Unterschied zwischen dem Ich und dem Selbst ins Gedächtnis. Das Ich ist die bewusste psychische Funktion eines Menschen. Sie setzt sich aus verschiedenen psychischen Anteilen zusammen, so dass der Mensch ein Gefühl von Identität hat. Das Selbst ist sein ursprüngliches Wesen, so wie der Mensch wirklich ist. Schon früh sind in unserer Gesellschaft die Einflüsse der Bezugspersonen und der Umwelt so stark, dass eine Entfremdung des Menschen von sich selbst stattfindet. Die meisten Menschen entwickeln zwar ein funktionsfähiges Ich, so dass sie ein mehr oder minder normales und zufriedenstellendes Leben führen können, sie bleiben sich aber ein Stück fremd. Ihr Ich hat zu viele Elemente aus anderen Systemen übernommen, ohne sie verdaut und ins Eigene eingefügt zu haben. Das passiert jedes Mal, wenn eine Erfahrung zu überfordernd, mit zu vielen Reizen und Informationen versehen oder zu lieblos, haltlos, beängstigend und einsam ist, so dass der Mensch sich (unbewusst) dazu entscheidet, die Erfahrung nicht zu Ende zu führen und einen Teil seines Wesens aufzugeben. Stattdessen baut er einen Schutz auf, den er in sein Ich integriert. Finden diese Prozesse vorsprachlich statt, also bevor man sprechen lernt und sich an Episoden erinnern kann, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man diese Schutzelemente für sein wahres Ich, also für authentisch, hält. Eine bewusste Lüge ist das nicht. Die Fassade fühlt sich echt an. Und so fühlt man sich auch ehrlich, was man auch ist, auch wenn es nicht die Wahrheit ist. Das passiert auch mit dem Ehrgeiz. Er wird schon früh "eingebaut", so dass ein Kind, das unter Einsamkeit, Lieblosigkeit und Gefühlskälte leidet, einen Ausweg findet, in diesem Fall im Ehrgeiz. Und tatsächlich kann ihn der Ehrgeiz aus dem gröbsten Elend und aus der brutalsten Not herausführen. Andere Menschen, das ist sicherlich eine Veranlagungs- und Temperamentfrage und auch eine Frage von bereitstehenden und auch geerbten Mustern, entscheiden sich für andere Schutzmechanismen, z. B. für das Gut-Sein oder dafür, die Retter-/Helferrolle einzunehmen. Bei den meisten ist es eine Mischform. Wir alle greifen auf verschiedene Muster je nach Situation und Beziehungspartner zurück.

Der Ehrgeiz fällt dabei auf fruchtbaren Boden, im Unterschied zu anderen Schutzformen, wie z. B. Drogenkonsum. Man kann es weit schaffen, viel Geld verdienen, sich tolle Dinge und Reisen leisten, das Gefühl bekommen, es geschafft zu haben. Man wird bewundert. Der Mangel bleibt aber (im Verborgenen) bestehen. Vielleicht spielt die Gesundheit irgendwann nicht mit. Man kommt in ein Burn-out, weil man überhaupt nicht mehr abschalten kann. Oder man fällt in eine Depression, wenn man in Rente geht. Oder auf der Beziehungsfront spielen sich Dramen ab, für die es keine "logische" Erklärung zu geben scheint.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ehrgeiz=Ich, der Entschluss zum Wandel und was der Ehrgeiz freigelegt hat

Ein Klient von mir (Ja, auch Männer kommen manchmal in den freiRaum, worüber ich mich sehr freue!) stand neulich vor einer schwierigen Entscheidung. Sein inneres System "verlangte" Befreiung von ihm. Er wuchs unter sehr schwierigen Bedingungen auf. Sein Leben war anscheinend von so viel Not geprägt, dass er an seine frühe Kindheit kaum Erinnerungen hatte. Es war fast wie ein Filmriss und das ist so ziemlich die höchste Form von Schutz: Ich entscheide mich (unbewusst) mich nicht zu erinnern, weil es so grauenvoll und unerträglich war. Trotzdem gab es in ihm eine Instanz, die mit seinem Selbst, seinem ursprünglichen Wesen, verbunden war, und die auf Wiederentdeckung drängte. Die Befreiung, die er anstrebte, war allerdings nur mit dem Vollziehen eines inneren Wandels (also einer Transformation) möglich. Am Rande sei angemerkt, dass das eine typische Entscheidung ist für die Klienten meiner Praxis. Sie müssen sich tatsächlich für den Prozess der Rückbindung (bewusst zurück zu sich selbst gehen wollen) entscheiden, denn danach gibt es kein Zurück mehr. Hat man sich einmal bei vollem Bewusstsein für den Wandel entschieden, gehorcht man ab jetzt seinen Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Diese entstammen dem Chaos-Prinzip, sind also zerstörerisch bis sehr kreativ, aber immer wieder genau passend und so gesehen langfristig gut für den Menschen: Er kommt seinem Wesen wieder näher und auch dem Universum. Das heißt, dass jetzt das Prinzip der Veränderung (Ich bin eine Raupe und ich arbeite daran, eine noch bessere Raupe zu werden) vom Prinzip des Wandels (Noch bin ich eine Raupe, aber ich fange an, mich in einen Schmetterling zu verwandeln. Danach kann ich etwas, was ein Schmetterling kann, z. B. fliegen, aber die typischen Raupen-Dinge kann ich nicht mehr. Dafür komme ich meinem Wesen näher.) abgelöst wird. Ich habe noch niemanden erlebt, der diese Entscheidung bereut hätte. Man kann sich später kein Zurück mehr vorstellen, lernt man doch die Früchte des Wandels, im Herausfordernden wie im Angenehmen, kennen. Das Davor ist viel spannender. Man braucht also Vertrauen, um sich tatsächlich dem Wandel anvertrauen zu können. Man spürt oder bekommt es sogar gesagt: Nach dieser Entscheidung wird es kein Zurück mehr geben. Mein Klient spürte dieses Vertrauen, übertrat die Grenzlinie, die auf dem Boden mit einem Faden markiert war, und schritt seiner Befreiung entgegen. Die Befreiung schritt also voran und plötzlich ploppte das Thema Ehrgeiz auf, worauf die Befreiung äußerte, dass sie nicht gleichzeitig mit dem Ehrgeiz bestehen kann. Schon wieder wurde eine Entscheidung abverlangt, und was für eine! Der Ehrgeiz war so substanziell für diesen Menschen. Könnte er wirklich, zumindest ein Stück, auf die Halt, Sicherheit und Ordnung gebende Struktur verzichten? Tatsächlich war das möglich. Und so legte der in den Hintergrund tretende Ehrgeiz einen kleinen Jungen frei, der unter der Härte und der Kaltherzigkeit litt und noch nie mit jemandem darüber sprechen konnte. Was für eine Wandlung, die das Herz ein Stück von seiner Kälte befreite.

Der Ehrgeiz bietet also einen guten Schutz gegen Kälte, Einsamkeit und Lieblosigkeit. Anscheinend einen besseren als z. B. Alkohol, der am Anfang betäubt und tröstet, am nächsten Tag aber die Wirkung ins Gegenteil verkehren kann. Mit dem Ehrgeiz kann man anscheinend relativ lange gut leben, bis die ersten wirklich belastenden Symptome kommen, mit denen man nicht fertig wird. Ohne Ehrgeiz zu leben, also freier, müheloser, symptomfreier, ist noch schöner, dafür muss aber wieder, wie im Kleinkindalter, eine Prozesstreppe begangen werden. Keine Stufe darf ausgelassen werden. Und es dauert so lange, wie es dauert... Einen Sprung direkt zum Ergebnis (zur Selbstverbindung) gibt es nicht.

Ich und der Ehrgeiz

Ich habe auch eine Geschichte mit dem Ehrgeiz, wobei ich mich nicht für ehrgeizig hielt. Überrascht reagierte ich auf Bemerkungen anderer Menschen, dass ich so ehrgeizig sei. Ich nahm mich so überhaupt nicht wahr, diese Fremdwahrnehmung passte also überhaupt nicht zu meiner Selbstwahrnehmung. Ich hielt meinen Ehrgeiz, bzw. das, was die anderen wahrnahmen, für selbstbestimmt, für meinen inneren Entwicklungswillen, wie bei kleinen Kindern. Da war bestimmt auch vieles daran wahr und gleichzeitig gab es ein fremdbestimmtes Element in meinem Ehrgeiz, den ich damals nicht wahrnehmen konnte, den andere mir aber zurückspiegelten.

In den letzten Jahren hatte ich gleichzeitig viele Gelegenheiten, mich mit meinem Ehrgeiz auseinanderzusetzen und ihn loszulassen.

  • Die letzten 1-1,5 Jahre vor meiner Kündigung in der Erwachsenenbildung tat mir mein rechter Arm weh. Das geschah jedes Mal, wenn ich Korrekturen, also Hausarbeiten und Klausuren, auf dem Tisch liegen hatte. Ich saß auch viel vorm PC und entwickelte einen Mausarm. Die Beschwerden waren stark, ich nahm Massage und Physiotherapie in Anspruch. Am Anfang hatte ich die (unrealistische) Hoffnung, dass die Massage und die Physiotherapie helfen würden und ich danach so weitermachen könnte wie bisher. Das war nicht der Fall und ich wurde wütend, dass es so nicht klappte. Nach der kurzen Wut-Phase entschied ich mich, mich näher mit meinen Symptomen zu befassen und kam zu spannenden Ergebnissen. Ein Teil in meinem Arm wollte loslassen, entspannen, die Energie fließen lassen. Auch weigerte er sich, Menschen zu bewerten, also Noten zu vergeben. Der andere Teil war noch ehrgeizig und erzeugte sofort Kraft, um die Aufgabe möglichst schnell und effizient zu bewältigen und ein Ergebnis zu erzielen. Ein anderer Teil unterbrach den Energiefluss, weil ich eine Aufgabe (Lehrerin sein) erledigte, die mir nicht mehr entsprach. Den Heiler-Ruf hatte ich bereits gehört und dann auch fleißig ignoriert. Und so äußerten sich in meinem Arm sehr komplexe Symptome und Signale. Die Konsequenz war, dass ich einen Teil meines Ehrgeizes ablegen musste, die Arbeiten schnell und effizient korrigieren zu können. Ich teilte sie mir über längere Zeiträume ein. Ich musste mich auch mit meiner wesentlichen Haltung zum Thema Ehrgeiz und Noten im Schulsystem auseinandersetzen. Hielt ich noch ein paar Jahre zuvor das Geschehen im Klassenzimmer für völlig normal, so musste ich mir eingestehen, dass das Bewerten von Menschen nicht meinem Wesen entsprach und dass das System noch viel fremdbestimmter ist, als ich mir einredete. Zuvor suchte ich nach selbstbestimmten Lösungen innerhalb eines fremdbestimmten Systems. Das war eine gute Lösung für mein Leben bis dahin. Ich musste aber einsehen, dass diese Lösung nicht mehr ging und ich das fremdbestimmte System verlassen musste. Dafür musste ich mir auch meine eigene Fremdbestimmtheit, also an diesem Punkt meinen Ehrgeiz, eingestehen. Autsch...
  • Im Februar 2020 saß ich im Seminar von Heike Gattnar zum Thema "Schuld und Scham". Das Theoretische an diesem Seminar interessierte mich nur zum Teil, hatte ich mir doch bereits vieles zum Thema angeeignet (wohl nicht aus Ehrgeiz ;-) ). Gleichzeitig wusste ich intuitiv, dass ich unbedingt zu diesem Seminar musste, um das Praktische mitzuerleben. Heike Gattnar, 1943 geboren, erlebte ich als eine außerordentliche Persönlichkeit. Sie ist als Trainerin fest im Somatic-Experiencing-Bereich verankert, bringt aber sehr viel Eigenes mit. Und so wollte sie, dass wir in Dreier-Gruppen eine Übung machen. Sie wollte die Übung vorführen und suchte dafür eine Freiwillige. Intuitiv meldete ich mich sofort dafür, wechselte den Platz und saß nun neben ihr. Meine Wahrnehmung spielte verrückt. Ich sah undeutlich, mein Herzschlag beschleunigte sich, die Farben waren auf einmal anders, ebenfalls die Geräusche und die Eindrücke von der Gruppe. Heike gab mir Zeit, mich zu regulieren und mich an den neuen Platz zu gewöhnen. Ihre angekündigte Übung entpuppte sich als eine Einheit Somatic Experiencing, die mich an zwei Punkte führte: mein freies Selbst und ein fremdbestimmtes Element. Heike bat mich, mich an etwas zu erinnern, bei dem ich mich ganz bei mir fühlte. Ich dachte an ein Tennisturnier kurz zuvor, bei dem ich in einem Match frei von Ehrgeiz und Ergebnisorientierung spielte (Ein Ziel, das ich mir für Wettkämpfe gesetzt hatte und damals endlich erreichte! Wie ehrgeizig von mir ;-) ) und absolut im Flow war. Die ganze Gruppe, es waren 30 Frauen vor Ort, floss da mit und erlebte sich auch in dieser Selbstverbundenheit und Freiheit, was ich später als Feedback erfuhr. Heike führte mich dann in ein fremdbestimmtes Element. Ich sollte an einen einschränkenden Glaubenssatz denken, der vielleicht auch schuldbeladen oder schambehaftet war bzw. diese Emotionen in mir auslöste. Ich kann mich an den Satz nicht mehr erinnern, aber an die körperlichen Reaktionen. Auf einmal wurde es eng im Bauchraum. Es fing aber auch sofort an, sich wieder zu entfalten. (Das ist das sog. Pendeln im Somatic Experiencing, das der Therapeut anstößt, was in diesem Fall einfach von alleine anfing.). Also pendelte ich hin und her. Das Pendeln führte mich an einen Bahnhof. Am Bahnhof fuhr ein Zug ein und ich war da, um einen guten alten Freund in den Zug – und zwar für immer – steigen zu lassen. Dieser alte Freund war mein Ehrgeiz. Er hatte mir in meinem Leben geholfen, möglichst selbstbestimmt in einem fremdbestimmten System leben zu können bzw. fremdbestimmte Dinge zu tun, um später mehr Selbstbestimmung erlangen zu können. Auch verdeckte er ein Stück meine Einsamkeits- und Kältewunden, so dass ich zu mir und zu anderen nicht gerade mild war. Ich ließ ihn einsteigen. Trauer kam hoch, aber auch etwas Nostalgie, Dankbarkeit und einige tiefe Gefühle, für die es keine Worte gibt. Heike schlug mir spontan vor, mir vorzustellen, dass der Ehrgeiz zu jemandem fährt, der ihn wirklich braucht, um aus einer miesen Situation herauszukommen. Diese Vorstellung fand ich stimmig und friedlich. Ich brauchte den Ehrgeiz nicht mehr und schickte ihn zu jemandem, vielleicht einem Kind in einem Slum, das damit aus dem Slum herauskommen könnte.

Wer bin ich wirklich?

Und nun stellt sich die Frage, wer man wirklich ist, wenn man nicht der ehrgeizige Mensch ist, für den man sich hält oder für den andere sich halten. Jemand, der eher verträumt und still ist? Feinfühlig und zartbesaitet? Mit feinen Antennen ausgestattet, die ausgeschaltet werden mussten? Mit einem weichen Herzen, das aus der Not heraus zu einem Stein oder zu einem Eisblock geworden ist? Der Ehrgeizige schaut in den Spiegel und sieht eine gewisse Leere oder Verworrenheit. Der Blick täuscht. Die Substanz ist da. Das Herz kann auftauen, die Antennen wieder aktiviert werden, die verletzliche Seite wieder lebendig werden. All das geht nicht ohne Überwindung, manchmal ganz schnell, manchmal nur in kleinen Schritten. Aber es geht. Und der Blick in den Spiegel wird dann etwas ganz anderes offenbaren als die gefürchtete Leere. 

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Bin ich ehrgeizig? Halte ich mich selbst für ehrgeizig? Oder wurde mir von anderen zurückgemeldet, dass ich ehrgeizig bin? Oder wurde mir sogar vorgeworfen, nicht ehrgeizig genug zu sein, also mich nicht genug anzustrengen und zu bemühen? (Tipp: Ehrgeiz und extra Kraft sind gute Freunde. Wenn man für etwas extra Kraft aufwendet, ist man wahrscheinlich ehrgeizig. Wo der Flow und der natürliche Energiefluss reichen, ist man losgelassen und frei.)
  • Erkenne ich ehrgeizige Menschen? Bewundere ich sie? Kann ich die Not hinter ihrem Ehrgeiz erkennen oder lasse ich mich von der äußeren sicheren und tatkräftigen Erscheinung täuschen?
  • Wie stehe ich zum Schulsystem? Zum Thema Noten? Zum Thema Konkurrenz? Zum Thema Zwang?
  • Wie verhalte ich mich im Beruf? Überlasse ich anderen den Vortritt und erledige einfach meine Arbeit? Oder will ich zu den Besten und Fleißigsten gehören?
  • Kann ich gut abschalten? Habe ich Dinge in meinem Leben, die mich wirklich auf allen Ebenen erfüllen? Fühle ich mich in der Welt gut aufgehoben, geborgen und sicher? Oder brauche ich Wege, den Mangel an Sicherheit und Geborgenheit zu kompensieren, indem ich z. B. ehrgeizig bin, viel Geld verdiene etc.?

 

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