Todesangst in der aktuellen Zeit
In seinem Vortrag Corona und die Angst beschreibt Daniele Ganser die drei zurzeit vorherrschenden Ängste: die Angst vor dem Virus, die Angst vor der Armut und die Angst vor der Diktatur. Der Vortrag ist spannend und unterhaltsam. Besonders als Ganser auf die hinter allen Ängsten steckende Angst vor dem Tod eingeht. Diese wirft einige Fragen auf, denn eins ist sicher: Sterben wird jeder. Wieso also diese große Angst?
Was hat man für Möglichkeiten mit der Todesangst umzugehen? Einige Menschen leben im "Gottvertrauen" oder im Vertrauen auf den guten Lauf der Dinge / auf das Universum. Sie sind mit dem Tod per Du und akzeptieren seine Zugehörigkeit zum Leben. Viele aber nicht, was man auch an den Maßnahmen gegen das Corona-Virus fast überall auf der Welt sieht. Man versucht diese Angst mit Kontrolle, also durch Maßnahmen zu bekämpfen, damit der Tod möglichst nicht eintritt. So wird es nicht funktionieren, wodurch die Angst nur noch größer wird, da man sich ihr nicht direkt stellt. Also hat man dann Angst davor, sich der Angst vor dem Tod zu stellen. Wie lebt man dann damit? Laut Ganser kann man sich der Angst (vor dem Tod) beugen, dann wird man aber bis zum Lebensende gekrümmt durch das Leben gehen. Hoppla! Das machen wir ja schon bereits, dafür reicht der Blick auf die Rücken der Menschen auf den Straßen (Lasst euch vom Hohlkreuz nicht täuschen!) oder die verantwortungsabgebende oder -negierende Aussage "Ich führe die Anweisungen (meines Dienstherrn / meines Arbeitgebers) aus"... Ja, alles hat eine Würde oder einen Preis. Die Corona-Zeit bringt die Frage nach der Auf-Richtig-Keit und Auf-Recht-Heit sehr klar in den Vordergrund... Und du? Krümmst du dich noch oder lebst du schon?
Die Zeit läuft und die Frage ist berechtigt, mit welchen Inhalten man sie füllt. Geht es ums Leben oder ums Überleben?
Da ich mich diesen Monat viel mit der kollektiven Verbindung beschäftige, stellt sich mir auch die Frage, ob wir kollektiv etwas reinszenieren. Es ist kein Krieg, wir leben in friedlichen Zeiten. Die Psyche der in Deutschland lebenden Menschen ist aber stark durch die Kriegszeit gefärbt und darauf ausgerichtet, im Überlebenssinne und auch im Sinne der darin verborgenen Traumata. Man könnte meinen, dass wir dann unbewusst einen künstlichen Kriegszustand (Kampf gegen das Virus) reinszenieren, um uns darin wohlfühlen zu können, um viele der unverarbeiteten Themen bearbeiten zu können. Nur leider übernehmen die Überlebensanteile, die, statt zu heilen, nur weitere Spaltungen, individuell wie kollektiv, bewirken. Ein Teufelskreis?
Daniel Ganser zeigt in seinem Vortrag einen Weg aus diesem Teufelskreis auf. Er nennt ihn "innerer Frieden" und verweist auf die Flexibilität unseres Gehirns, auf die Neuroplastizität. Er zeigt zwei wesentliche Möglichkeiten auf. Die eine besteht darin, neue Verbindungen zu formen. Dafür braucht es Übung, Übung, Übung und Wiederholung, Wiederholung und Wiederholung. Die andere Möglichkeit besteht in der sog. Beobachterposition bzw. der Nicht-Identifikation mit der eigenen Person und ihren Gedanken. Ganser benutzt die Wasserfallmetapher. Gedanken sprudeln auf uns ein, so, als würden wir kontinuierlich unter einem Wasserfall stehen. Was wir machen können, ist, uns in den Raum hinter dem Wasserfall zurückzuziehen, was bedeutet, dass ich ≠ meine Gedanken bin. (Oder für Hardcore-Fans gleich in den Raum darüber? Ich ≠ die Person, die ich bin.). Dann sind wir des-identifiziert (gedanken-steril, aber nicht desinfiziert! Versuchen die Menschen vielleicht symbolisch genau das? Desinfektion statt Des-Identifikation? Also Des-Identifikation auf der falschen Ebene?) Was Ganser allerdings unerwähnt lässt, dass dieser Des-Identifikationsraum (verbunden mit dem Gefühl wirklich im Hier und Jetzt und mit dem Atem verbunden zu sein und nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft) erst zuverlässig erreicht werden kann, wenn viele abgespeicherte Themen gelöst worden sind. Er spricht das auch indirekt an, indem er beschreibt, wie Gedankenkontrolle funktioniert. Man schürt Angst und knüpft sie an bestehende Traumata an. Autsch. Erstarrung und Schrecken sind die Folgen. Die Lösung? Raus aus dem Wasserfall! Den Veränderungsimpuls (in Begleitung) nutzen, der in diesen Zeiten schnell an die Oberfläche gelangt! Und: Üben, üben, üben! Auf die Nase fallen, aufstehen, Krone richten, weiter üben! Um Ganser noch ein letztes Mal zu zitieren: Wir sind alle in einem Trainingslager. Das war eine kollektive Entscheidung, auch wenn wir uns individuell nicht für das Trainingslager eingeschrieben haben. Wir sind trotzdem drin. Also, auf zum Training!
Fragen zum Nachforschen und Ergründen
- Welche Angst kommt in meinem Leben gerade am meisten vor? Und in meinem Umfeld?
- Was ist meine größte Angst?
- Was würde passieren, wenn das, wovor ich die größte Angst habe, eintreten würde?
- Und was wäre noch schlimmer als das, was dann eintreten würde?
- Welche Strategien habe ich entwickelt, die Angst abzuwenden oder unter Kontrolle zu halten?
Bildnachweis:
Bilder von Stefan Keller