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Einsamkeit

 

Inhaltsverzeichnis

 

Ich bin einsam

Ich bin ein-sam

Ich bin ein Samen

Wir kommen alle

aus einem Samen

Alle zusammen

(Worte aus einer eigenen Therapiesitzung)

  

Der innigste Wunsch eines jeden Menschen: authentisch in Kontakt treten können

Jeder Mensch trägt in sich den Wunsch, mit anderen Menschen in einen innigen Kontakt zu treten. Ganz ohne Schutzhüllen träumt jeder von uns davon, mit Haut und Knochen angenommen, für voll genommen und auf allen Ebenen verstanden zu werden. Seltenst können wir uns diesen Wunsch von Anfang an erfüllen. Meistens müssen wir dafür "arbeiten". Entweder arbeiten wir indirekt dafür, indem wir Strategien bewusst oder unbewusst anwenden, die uns diesem Ziel näherbringen sollen: Leistung erbringen, anderen behilflich sein, sich wie ein guter Mensch verhalten, was zugegebenermaßen nur sehr bedingt funktioniert. Oder aber wir arbeiten direkt daran, indem wir unsere Schutzhüllen ablegen. Schwinden die Schutzhüllen, kann das erst einmal das Einsamkeitsgefühl verstärken, vor dem die Schutzhüllen ja zuvor zuverlässig bewahrt haben. Sich damit zu konfrontieren ist unangenehm. Viele wollen an das Thema gar nicht heran, verstecken sich doch dahinter häufig Kinderheitstraumata: Ablehnung durch die Mutter, Ablehnung durch den Vater, Selbstablehnung... 

Der Boss, der Mitläufer, der Opponent und der Außenseiter

Menschen tun alles, um dieses Gefühl zu vermeiden. Aus der Gruppendynamik sind vier Gruppenrollen bekannt, die unterschiedlich mit dem Einsamkeitsthema umgehen. Wir alle besetzen diese Rollen, einiger mehr und lieber, andere seltener und weniger gern.

Der Boss ist der einsamste Mensch schlechthin. Durch seine einmalige und herausragende Position kann er nicht denselben Kontakt haben zu seinen Mitmenschen haben wie die anderen Gruppenmitglieder. Das kompensiert er durch z. B. autoritäre Gesten oder ein kumpelhaftes Verhalten. Herausgefordert wird er von einem oder mehreren Menschen, die ihm opponieren, übrigens eine wichtige Funktion im Gruppengeschehen, die dafür sorgt, dass die Gruppe in ihrer Entwicklung nicht zu sehr stagniert. Die Mitläufer sind diejenigen, die noch am meisten Nähe erleben. Sie schließen sich dem derzeitigen Anführer an und vertreten die Mehrheitsmeinung. Dadurch wird es für sie kuschelig-warm. Der Außenseiter zieht sich aus dem Geschehen heraus. Er zieht die Einsamkeit der kuscheligen (Pseudo-)-Wärme vor. So richtig gut geht es aber auch ihm nicht. Wenn wir diese Rollen rein sachlich ausleben, ergeben sie absolut Sinn. Nur da so viele Menschen über so massive Selbstwertlücken verfügen, werden diese im Gruppengeschehen nützlichen Rollen psychologisch überlagert. So richtig auf seine Kosten kommt dabei niemand. Im Grunde genommen bleibt dabei jeder im tiefsten Inneren einsam. Und die Gruppe entwickelt sich nicht zu ihrer vollsten Stärke; einiges an Potential bleibt ungenutzt.

Klassische Wege aus der Einsamkeit

Im finnischen Nationalepos Kalevala fühlt sich der Schmied Ilmarinen einsam, nachdem seine Frau ermordet wurde. Auch die Rache brachte ihm nicht den ersehnten Frieden. Ihm fehlt seine Lebensgefährtin. Und so haut er sich eine aus Silber und aus Gold in der Hoffnung, dass sie zum Leben erwecken und ihm Wärme spenden wird. Die Frau aus Metall bleibt aber hart und kalt und Ilmarinen bleibt zurück mit seiner Einsamkeit. Die Moral der Geschichte: Verbindung und Wärme kommen von innen und können nicht im Außen zusammengezimmert werden. Man kann sie nachbauen. Wenn man so geschickt und begabt ist wie Ilmarinen, dann sogar ziemlich perfekt. Aber selbst für ihn gibt es eine Grenze und es bleibt ein Nachbau, dem die echte Wärme fehlt. Und die Vergangenheit wirkt nach, weil noch kein Frieden herrscht. (Für Freunde der härteren Musik gibt es dazu einen passenden Song: AMORPHIS - Silver Bride: A queen of gold I made // A silver bride I built // From the Northern summer night // From the winter moon // Responded not my girl // No beating heart I felt // I brought no sighs to the silver lips // No warmth from the cold.)

So wie Ilmarinen versuchen auch wir häufig, uns einen Traumprinzen oder eine Traumprinzessin zurechtzubasteln, sei es nur in der Phantasie. Überall suchen wir nach ihm oder nach ihr und finden sie nicht. Wir suchen an der falschen Stelle, denn die Einsamkeit ist eine innere Angelegenheit. Es lohnt sich die Qualität dieses Gefühls und seine Vergangenheit zu erforschen, bevor man es in etwas Neues transformieren kann.

Einsamkeit ist nicht gleich Einsamkeit

Einsamkeit gibt es in verschiedenen Qualitäten. Von "sich Gesellschaft wünschen" bis hin zur kosmischen Einsamkeit. Damit meine ich das Gefühl, ganz alleine und ohne Kontakt auf dieser Welt oder sogar schon außerhalb dieser Welt zu sein. Der Song Space Oddity von David Bowie vermittelt eindringlichst das Extrem dieses Gefühls: Der Astronaut seilt sich von seiner Raumstation ab und schwebt mutterseelenallein durchs schwarze Universum: Here am I floating round my tin can // Far above the Moon // Planet Earth is blue // And there's nothing I can do. Der erste Schritt besteht also darin, sich die verschiedenen Qualitäten dieses Gefühls zu eigen zu machen, zu durchfühlen und erst einmal so anzunehmen, wie sie sind.

Die Einsamkeits-Mechanismen

Wie erzeugen wir aber diese Einsamkeitsgefühle in uns, unabhängig von ihrer Qualität? Das Einsamkeitsgefühl beruht darauf, dass wir uns in dem Moment abgeschnitten fühlen, ohne Kontakt. Meistens wird die Projektion nach außen aktiv: Etwas oder jemand fehlt uns. Beim spacigen Gefühl (s. den Abschnitt davor) ist diese Projektion meist nicht aktiv, wodurch es einen direkteren Zugang zum Ursprung ermöglicht.

Etwas ist also passiert, wodurch wir uns abgeschnitten fühlen. Es ist kein Kontakt da. Dabei sind wir diejenigen, die sich vom Kontakt abgeschnitten haben, weil wir etwas im Kontakt erlebt haben, was bedrohlich war. Wir spalten uns in zwei sehr mächtige Anteile auf: Der eine verzehrt sich nach Kontakt, will nichts lieber als eine innige Verbindung. Der andere schützt sich davor, meist unbemerkt und unbewusst. Machen Sie sich doch bewusst, inwiefern Sie selbst einen innigen Kontakt verhindern. Typische Verhinderer in Glaubenssatz-Form, mit deren Hilfe wir uns von uns selbst und anderen trennen, lauten:

  • Ich werde (doch wieder mal) ausgenutzt.
  • Ich werde (doch wieder mal) hintergangen.
  • Ich habe kein Vertrauen (zu anderen).
  • Ich brauche niemanden, ich komme gut allein klar.
  • Die anderen mögen mich eh nicht.
  • Wenn die anderen mich wirklich kennenlernen würden, würden sie mich ablehnen.
  • Niemand kann mir helfen. Es lohnt sich eh nicht.
  • Die anderen sind nicht gut genug für mich. Sie sind nicht einfühlsam genug / gehen nicht gut genug auf mich und meine Bedürfnisse ein.
  • Niemand versteht mich.

Ein Mensch kann auch über eine gute bis sehr gute Kontaktfähigkeit verfügen, so dass solche Glaubenssätze nur punktuell, also in bestimmten Situationen und mit bestimmten Menschen, aktiv werden. Eben an den Stellen, an denen noch kein Frieden hinsichtlich der eigenen Einsamkeitsgeschichte und der eigenen Kontaktbedürfnisse herrscht. Oder die fehlenden Anteile zeigen sich auf der Haut, dem Kontaktorgan schlechthin: Ausschläge und Ekzeme, Psoriasis und andere Schuppen.  "Schlimmer" getroffen hat es Menschen, bei denen sich solche Glaubenssätze durch die komplette Kontaktstruktur wie ein roter Faden ziehen. Sie können von Verzweiflung und Depression überlagert werden, aber auch von Kälte und Distanziertheit. Und so verhindert der Mensch, auf eine ziemlich überhebliche und heuchlerische Art und Weise, selbst den Kontakt, den er braucht bzw. in diesem Fall unbedingt zu brauchen vorgibt, um ihn im nächsten Schritt zu verwerfen. Er lehnt den Kontakt ja schließlich ab, weil er nicht gut genug ist. Das Problem wird meist im Außen erkannt: Die anderen zeigen einem die kalte Schulter, lehnen einen ab, ignorieren einen, grüßen nicht usw. usf. Würde der Mensch seine Ablehnung gegen diese Anteile, die sich da im Außen spiegeln, überwinden und mit ihnen in Kontakt kommen, würde er genau das bekommen, was er braucht, und zwar zuerst im Inneren, nach einiger Zeit auch im Außen.

Jeder Mensch strahlt Liebe und Kontakt aus

In jedem Kommunikationsakt strahlt jeder Mensch Liebe aus und bietet uns Kontakt an. Es liegt an uns, es anzunehmen. In manchen Situationen gelingt es uns nicht. Die Liebe und der Kontakt gehen aus dem Innersten aus und durchlaufen mehrere Schutzschichten, wodurch die ursprüngliche Botschaft möglicherweise verzerrt wird. Sie kann so weit verzerrt werden, dass es zu Vorwürfen, Beleidigungen und körperlicher Gewalt kommt. Der direkte Weg besteht darin, seine Schutzmechanismen so weit abzubauen, dass man die ursprüngliche Botschaft in jedem Akt erfassen und erfühlen kann. Gleichzeitig sorgt dieser Abbau dafür, dass die Mitmenschen einem immer weniger von ihren Schutzanteilen präsentieren. Man bekommt das, wonach man sich so lange sehnte: authentischen Kontakt.

Einfacher ausgedrückt: Man gibt vor, Liebe zu wollen, nimmt sie aber nicht immer an, manchmal nicht einmal in ihrer Reinform. Und schon gar nicht, wenn sie in verdeckter Form als Vorwürfe, als Beleidigungen etc. kommt. Die Aufgabe ist, sie als Liebe trotzdem anzunehmen, die verdeckte Liebe in allem und in allen zu erkennen. 

Aus einsam wird ein-sam

Wer sich mit seiner Einsamkeit in seinem Gefühlsausdruck wie in seiner Schutzform konfrontiert hat, kann sie überwinden und neu kennenlernen. Aus Einsamkeit wird Ein-Samkeit. Alle (menschlichen) Wesen entstammen einem Ursprung, einem Samen. Ich bin Du und ich bin alle. Alle sind auch Ich. In allen anderen sehe ich das, was es in mir auch gibt. Und auch ich spiegele anderen ihr Eigenes. Wir sind alle verbunden wie all die Computer im www.

Wer also die Einsamkeit komplett durchschreitet, landet im Gefühl vollkommener Verbundenheit mit sich und allem, also mit dem ganzen Universum:

Ich bin einsam

Ich bin ein-sam

Ich bin ein Samen

Wir kommen alle

aus einem Samen

Alle zusammen

(Worte aus einer eigenen Therapiesitzung)

Dieser Prozess kann eine Zeit lang in Anspruch nehmen und erfordert Mut und Vertrauen. Ich rege meine Klienten an, sich darauf einzulassen mit den Worten, dass sie erst einmal ein Tal der Einsamkeit werden durchschreiten müssen. Sie werden sich einsam fühlen. Ist die Phase abgeschlossen, werden sich auch im Außen Menschen zeigen, die sich auf einen ähnlichen Entwicklungsweg gemacht haben. Und für andere, die dabei sind, sich auf den Weg zu machen, ist es sogar möglich, ein Leuchtturm zu werden und ihnen den Weg leichter zu machen, denn man ist vorgegangen.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Wie einsam fühle ich mich? Wann fingen diese Gefühle an? War das gefühlt schon immer so? Oder tauchten diese Gefühle erst später in meinem Leben auf?
  • Kenne ich auch das spacige Einsamkeitsgefühl wie der Astronaut in Bowies Song? Vermeide ich dieses Gefühl oder bin ich schon so weit, seine Schönheit und Einzigartigkeit anzunehmen?
  • Oder bin ich wie der Schmied Ilmarinen, der versucht, sich das Verlorene im Außen zurechtzuschmieden?
  • Welche Gruppenrolle (Boss, Mitläufer, Opponent, Außenseiter) besetze ich am häufigsten? Wie liegt das in meiner Lebensgeschichte begründet? Bin ich bereit, flexibler in meinen Rollen zu werden? Was muss ich dafür tun?
  • Von einsam zu ein-sam: Wie weit bin ich schon auf diesem Weg? Habe ich schon meine Seelen-Familie gefunden? Die Menschen, die sich auf den Weg zu sich selbst gemacht haben, so wie ich?

  

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