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Alle meine Anteile: der offene und der verdeckte Narzisst

 

Inhaltsverzeichnis

 

"Der Narzissmus trägt viele Masken: Heiligkeit, Pflichtbewusstheit, Freundlichkeit und Liebe, Bescheidenheit und Stolz. Er reicht damit von der Haltung eines hochmütigen und arroganten Menschen bis zu der einer bescheidenen und unaufdringlichen Person." - Erich Fromm, Die Antwort der Liebe

 

Jeder kennt sicherlich jemanden, bei dem er offene Narzissmus-Züge beobachten konnte: Die klassische Selbstverliebtheit vereint Arroganz mit Empathielosigkeit, gefolgt von Urteilen, Abwertungen und Schuldzuweisungen. Oder etwas verdeckter: Das heuchlerische freundliche Lächeln verdeckt die manipulativen und zerstörerischen Absichten. Oder der Narzisst kleidet sich in das Gewand eines guten ehrenhaften Menschen, der sich um andere sorgt. Das Ganze gerne auch mit Wut oder sogar Hass und Rachegelüsten garniert, wenn es nicht nach der Nase des Narzissten läuft, egal wie verständnisvoll und freundlich er davor auftrat. Die offenkundige Selbstverliebtheit oder wahlweise die falsche Bescheidenheit täuschen natürlich und offenbaren in Wirklichkeit einen Mangel an Liebe. Aber auch jemand, der sich auf den ersten Blick verletzlich zeigt, könnte ein verdeckter Narzisst sein bzw. narzisstische Züge haben. Vereinfacht ausgedrückt: Jede Abweichung vom Selbstwert und von der bedingungslosen (Selbst-)Liebe, ob nach oben oder nach unten, offenbart höchstwahrscheinlich einen narzisstischen Anteil, der diese Abweichung auszugleichen versucht.

Der Ursprung des Narzissmus

Der Ursprung des Narzissmus liegt, wie vieles andere auch, in einer tiefen Liebesverletzung: "Ich werde nicht geliebt wie ich bin. Ich bin nicht liebenswert." Und das muss natürlich ausgeglichen werden, indem man die Liebesverletzung nicht sieht, sondern stattdessen in den Spiegel schaut, in dem sich das eigene Selbstbild dem Wunsch entsprechend spiegelt. Die Aufgabe der Mitmenschen besteht darin, dieses Selbstbild zu bestätigen. Werden sie dieser Rolle nicht gerecht, kann es natürlich nicht sein, dass der Spiegel etwas Falsches anzeigt. Die anderen sind nämlich schuld und werden sogar gerne mal des Egoismus beschuldigt.

Nicht alle Menschen reagieren aber auf die Liebesverletzung direkt narzisstisch. Viele sind sich auch dieser Ur-Wunde bewusst, zeigen sie in entsprechenden Situationen durch ihre Gefühle und starten so den Versuch, die Wunde zu heilen. Der Narzisst wiederum hat so eine tiefe Wunde erlitten, dass er seine Gefühlskanäle blockiert, damit er diese Wunde und natürlich auch die nachfolgenden Konsequenzen seines Seins und Handelns nicht spüren muss. Als Ausgleich für seine Blockierung braucht er Menschen in seinem Umfeld, von denen er die ihm fehlende Energie saugen kann. Letzteres ist nur möglich, indem er ein Machtverhältnis etabliert.

Das 2. Chakra-Problem des Narzissten und die Macht-Lösung

Auf die Energieebene übertragen hat der Narzisst ein Problem im 2. Chakra. Es ist blockiert, da er seine Gefühle blockiert (Hier finden Sie einen ausführlichen Artikel dazu.). Die naheliegendste Lösung für die blockierte Energie besteht darin, Macht auszuüben, um andere Menschen energetisch zu "melken", also als Erfüllungsgehilfen für die eigenen Bedürfnisse zu benutzen. Dass der Narzisst dabei unersättlich wird, ist selbstverständlich, denn seine Energie regeneriert sich nicht. Das heißt, er braucht immer mehr und immer häufiger, gerne auch Dinge im Außen: Erfolg, Materielles, Statussymbole, Machtbereiche. Da seine Gefühlsebene blockiert ist, kann er fremde Bedürfnisse und Gefühle nicht fühlend wahrnehmen. Die Folge ist das fehlende Einfühlungsvermögen. Steht jemand nicht mehr zur Verfügung, wird er wütend und versucht ggf. noch mehr Macht und Druck auszuüben, um denjenigen zurück zum "Melkstand" zu bewegen. Geschehen kann das durch eine direkte Machtausübung, aber auch durch sehr subtile Manipulationstechniken bis hin zur Pseudo-Empathie. Letztere ist mehr eine Vorstellung von sich als eines empathischen Menschen als wahre Empathie. Die Pseudo-Empathie zerbricht schnell, sobald die eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen auf der Strecke bleiben oder aber sie wird als mentales Bild ohne entsprechendes Körpergefühl aufrechterhalten, eine reine Kopf-Empathie sozusagen.

Der verdeckte Narzissmus

Viele Menschen tragen narzisstische Züge in sich, leben sie aber nicht offen aus. Es kann sein, dass sie nicht in der Machtposition sind, sie (gefahrlos) auszuleben, dann überlassen sie es ihrem Gegenüber, z. B. dem Partner in ihrer Paarbeziehung oder dem Chef bei der Arbeit. Oder ihre moralischen Anteile verbieten es ihnen. Narzissmus kann sich dann in vielen auf den ersten Blick unschuldigen Gewändern kleiden: Hilfsbereitschaft, Aufopferungsbereitschaft, jede Form von Zurücknehmen der eigenen Bedürfnisse, das Gut-sein-Wollen und jede andere moralische und sonstige Überhöhung. All diese Strategien ermöglichen dem verdeckten Narzissten das Eindringen in fremde Bereiche und eine extra Energiezufuhr von jemand anders. Außerdem wird so der angekratzte Selbstwert stabilisiert.

Ein Experte für verdeckten Narzissmus ist Jochen Peichl. Ich erinnere mich noch gut an die Gesichter der Teilnehmer, größtenteils Therapeuten, einer Online-Schulung zu diesem Thema, als er die Züge des verdeckten Narzissmus vorstellte. Die meisten oder einfach alle haben sich ganz schön ertappt gefühlt. Sonst waren Narzissten immer die anderen. Dieser unangenehme Moment sorgte aber gleichzeitig für eine gewisse Erleichterung im Seminar: Dinge, für die es zuvor keine so richtig plausible Erklärungsweise gab, z. B. die allumfassende Hilflosigkeit einiger Klienten, aus der es keinen Ausweg zu geben schien, gewannen auf einmal an Kontur und Zusammenhang, auch im Sinne eines narzisstischen Selbst-Schutzes. Und auch die eigenen narzissmus-verdächtigen Anteile, z. B. die, die den Klienten helfen und sie heilen wollen, konnten so einer gründlichen Prüfung unterzogen werden, egal ob man es als narzisstischer Superstar oder als ein kleiner bescheidener Therapeut angeht, denn auch Letzteres ist verdeckt-arrogant.

Den Narzissten entlarven

Der Narzisst kann relativ leicht enttarnt werden, egal ob er offen oder verdeckt agiert, egal ob es ihm selbst bewusst ist oder nicht, sofern man ihn an seiner Achilles-Ferse erwischt. Er würde das wahrscheinlich nicht zugeben, aber es reicht, wenn Sie ihn im Geiste erwischen. Das wäre ein Anfang. Wenn Sie jetzt an einen bestimmten Menschen denken, fragen Sie sich, ob in der Kommunikation zwischen Ihnen und diesem Menschen Manipulation im Spiel ist? Sind Urteile im Spiel? Abwertungen? Das Drängen zu etwas? Ein Überzeugen-Wollen? Eine selbstlose Hilfsbereitschaft? Wenn die Antwort Ja ist, dass sind in dieser Beziehung narzisstische Anteile am Agieren. Das heißt aber auch, dass Sie auch selbst laut Resonanzgesetz (Man zieht nur das an, was man in sich trägt.) entsprechende Anteile und Muster in sich tragen, was nicht bedeutet, dass es in genau demselben Maße und auf dieselbe Art wie bei dem Menschen, an den Sie eben gedacht haben, sein muss.

Um den Narzissten in sich selbst zu entlarven, lohnt es sich, sich die Frage nach der Macht und Ohnmacht zu stellen. Das Besondere am Narzissten ist ja, dass er Macht dazu gebraucht, Ohnmacht bei anderen auszulösen, um daraus Energie zu beziehen. Fragen Sie sich also, wo Sie das auch tun. Also: Wo setzen Sie Macht so ein, dass Sie andere in Ohnmacht bringen? Und natürlich auch umgekehrt: Wo fühlen Sie sich ohnmächtig? Wo setzen andere Macht über Sie ein, so dass Sie sich ohnmächtig fühlen? Wo ernähren Sie sich von fremder Energie? Wo lassen Sie sich aussaugen? So kommen Sie den narzisstischen Anteilen zuverlässig auf die Spur. Vielleicht klappt es auch nicht sofort. Wo ein Wille, da ist aber auch ein Weg. Zumal: Der Narzisst ist wahrscheinlich der Teil in uns, der sich am zuverlässigsten einer Transformation entzieht. Seien Sie also geduldig. 

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Was verstehe ich unter einem Narzissten? Was bedeutet für mich "narzisstisch"? Bin ich es (manchmal) auch?
  • Wo setz(t)e ich Macht ein und habe dadurch andere in Ohnmacht gebracht?
  • Wo setzen andere Macht ein und bringen mich in Ohnmacht?
  • Wo melke ich andere? Wo werde ich selbst gemolken?
  • An welcher Stelle sind meine Gefühle blockiert? An welcher Stelle bediene ich mich rationaler und mentaler Konzepte, ohne auf meine Gefühle und Bedürfnisse (oder die der anderen) Rücksicht zu nehmen?
  • Wo ich meinen Selbstwert nicht treffe, also drunter oder drüber bin, und mich nicht bedingungslose liebe, bin ich verdeckt oder offen narzisstisch: Also, in welchen Situationen genau und mit wem?
  • Wo bin ich gefühllos? Wo agiere ich umempathisch? Wo fällt es mir schwer, mich in andere (und auch in mich selbst?) einzufühlen?

 

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