Alle meine Anteile: der Süchtige
Inhaltsverzeichnis
- Die Sucht, die Suche und das Dahinsiechen
- Die wahre Suche nach...
- Die Sucht in uns allen
- Das Neptun-Prinzip
- Beispiel: die Sucht nach Therapie
- Wir sind alle Suchende
- Fragen zum Nachforschen und Ergründen
Die Sucht, die Suche und das Dahinsiechen
In diesem Artikel komme ich gleich zum Kernpunkt des süchtigen Anteils in uns. Er sucht, sucht es in den falschen Dingen, die ihm schaden, und siecht deswegen dahin, statt seine Suche zu vollenden. Das Wort "Sucht" kommt übrigens von "Siechen" und nicht von "Suchen", was zwar auch naheliegend ist und in jeder Sucht auch enthalten ist. Was sucht denn der Süchtige so sehnsüchtig?
Die wahre Suche nach...
Der Süchtige sucht viele Dinge. Er sucht nach sich selbst, er sucht nach Erlösung, also nach dem Ende aller Spannungen und Konflikte. Im Endeffekt sucht er also nach einer Einheitserfahrung, die ihn durch das Leben trägt. Durch einige Drogen und Alkohol kann man tatsächlich diese Einheitserfahrung erleben. Da sie nicht aus eigener Kraft, sondern mit Hilfsmitteln erreicht wurde, folgt darauf eine harte Landung, mit der der Süchtige auch nicht umgehen kann. Und so landet er in immer gleichen Kreisläufen.
Die Sucht in uns allen
Auch wenn Sie keine Drogen nehmen und keinen Alkohol missbrauchen, kann es gut sein, dass Sie trotzdem ein Suchtmuster in sich tragen. Das war bei mir übrigens auch so. Ich habe nie geraucht, nie viel getrunken, nie irgendwelche Drogen konsumiert und auch nicht ausprobiert, und trotzdem hatte ich ein starkes Suchtmuster in mir. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, bis ich in einem der Ausbildungsseminare eine energetische Erfahrung damit machte. Das Seminar hatte psychische Störungen zum Thema. Am Anfang des Seminars platzierte der Seminarleiter einige Repräsentanzen auf dem Boden, und zwar verdeckt. Wir wussten nur, dass sie für verschiedene psychische Störungen stehen, also so, wie sie im Lehrbuch stehen, z. B. Depression, Sucht, bipolare Störung, Schizophrenie, ADHS und einige andere. Unsere Aufgabe war es, uns draufzustellen, uns hineinzufühlen und Eindrücke zu sammeln. Die meisten Positionen kamen mir eigenartig bis fremd vor bis auf eine, auf der ich mich erstaunlich wohl fühlte. Für Sie als Leser wird es keine Überraschung sein, dass die Position "Sucht" hieß. Für mich damals war es schon eine Überraschung. Ich betrachtete mich nicht als jemanden, der potentiell suchtgefährdet sein könnte, obwohl ich während meiner Studienzeit z. B. exzessiv Computerspiele gespielt habe, und zwar kam ich auf 3000 Stunden in 2 Jahren, bis ich dann aufhörte. War ich mit der einen Sucht fertig, kam die nächste, nur dass meine Süchte nicht so schädlich für meine Gesundheit und meine Beziehungen waren und mich vielleicht sogar dem Ziel meiner tieferliegenden Suche näher brachten. Als ich anfing, Erzieher zu unterrichten, hatte ich eine Lesesucht. Ich bestellte mir alle Bücher, die ich zu den Unterrichtsthemen finden konnte + Psychologie- und Psychotherapiebücher, und verschlang sie am laufenden Band. Auch das ging 1,5 Jahre so oder sogar länger. Man könnte meinen, es war doch etwas absolut Konstruktives! Ja und nein. Natürlich war diese Sucht objektiv gesehen weniger schädlich als z. B. eine Drogensucht. Trotzdem vernachlässigte ich damit andere Bereiche meines Lebens, es ging auch auf Kosten der Familie und im Endeffekt hatte ich so keine Zeit, mich mit mir zu beschäftigen oder die Sachen so richtig zu verdauen. Ich nutzte natürlich meine Auffassungsgabe, um die Inhalte zu erfassen und zu verinnerlichen. Die Auseinandersetzung damit auf allen Ebenen gelang mir erst einige Jahre später. Ja, es war eine gute Vorbereitung, eine Sucht war es trotzdem.
Erst vor Kurzem deckte ich weitere Mini-Süchte in mir auf: Koffein (Der Abschied war nicht schwer, mir ging es eh nicht gut damit. Koffein fing an, Stimmungsschwankungen bei mir auszulösen), Kaffee mit Milch, um mir Wohlfühlgefühle zu machen, überhaupt Essen und Genuss als Ersatz für emotionale oder spirituelle Bedürfnisse, z. B. zuckerhaltige Schokolade. Essen ist häufig ein Hilfsmittel, der Ekstase, also einem besonders starken Genussempfinden, das sich aus der Einheitserfahrung speist, näherzukommen. Sex auch. Verkehrt ist es nicht zwangsläufig. Die Frage ist, ob man die körperlichen Möglichkeiten wie Essen und Sex in heilbringender Form nutzt oder ob das eine (versteckte) Sucht bleibt und das Gesuchte ausbleibt. Statt durch die Einheitserfahrung im geistigen Sinne voluminöser zu werden, nimmt der Mensch am Bauch an Volumen zu. Statt in Sex die Einheit zu erleben, befriedigt er sich nur auf der instinktiven Ebene oder nutzt Sex zur Spannungsabfuhr, statt diese Spannungen durch Sex tatsächlich zu heilen. Dabei wäre es, wie gesagt, möglich beides zu vereinbaren.
Das Neptun-Prinzip
In der Astrologie werden sowohl die Sucht als die Suche dem Planeten Neptun zugeordnet. Neptun steht für das Sich-Auflösende, für den höchsten Sinn, für das Transzendente. Und so suchen ein Süchtiger und ein geübter Meditierender dasselbe, nur auf verschiedenen Wegen. Der Unterschied in ihrem Umgang besteht im Unterschied in ihrer Psyche, nicht in ihrer grundlegenden Essenz. Ist die Psyche mit Altlasten und Schutzmechanismen überladen, so wird eher eine Sucht aus der neptunisch angetriebenen Sehnsucht. Ist die Psyche freier davon, kann der Mensch direkt(er) seiner Sehnsucht folgen. Die meisten von uns leben eine Mischung. Hier gilt es herauszufinden: Wo ist meine Suche eine wahre Suche und wo ist sie zur Sucht verkommen? Das Ziel ist ja die Einheitserfahrung. Sie findet man kurzzeitig auch in der Weinflasche, am Tag darauf ist alles nur noch schlimmer und zersplitterter. Daher lautet die Frage: Was bringt mich kontinuierlich der Einheitserfahrung näher, so dass ich sie in meinen Alltag mitnehmen kann? Die Weinflasche ist es nicht, aber vielleicht ein Zwölf-Schritte-Programm oder eine spirituell orientierte Therapie?
Beispiel: die Sucht nach Therapie
Man kann sogar nach einer an sich guten und konstruktiven Sache süchtig werden. So gibt es auch Menschen, die nach Therapie und Traumaauflösung süchtig sind. Sie gehen von Therapeut zu Therapeut, von Ausbildung zu Ausbildung, von einem Coaching zum nächsten: Hier noch etwas aufgelöst, da noch etwas aufgelöst – juhu! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es ist ja auch mein Metier. Aber hier schlägt eine gute Sache in ihr Gegenteil um, v. a. wenn sie zum Selbstzweck oder aber dem Verdecken des Eigentlichen dient. Es klingt zwar paradox, aber man kann tatsächlich dieses und jenes auflösen und sich dadurch zuverlässig dem entziehen, was eigentlich aufgelöst werden sollte. Auch hier stellt sich die Frage: Auflösen zu welchem Zweck? Mit welchem Ziel? Was kommt danach? Und so kann man sich das Auflösen von etwas so sehr zur Komfort-Zone machen, dass es kein Danach mehr gibt. Das ist durchaus gut für die Geldbeutel einiger Coaches und Therapeuten, aber doch nicht der Sinn der Sache, oder? Und so hat der Therapie-Süchtige seine früheren destruktiveren Süchte und Abhängigkeiten durch diese Therapiesucht ersetzt. Ich sehe das gar nicht so kritisch, denn verschiedene Süchte haben unterschiedliches destruktives Potential und so eine Therapiesucht ist nun wirklich nicht das Schlimmste, zumal sie immer das Potential hat, sich doch zu lösen, da man schon den grundsätzlich richtigen Ansatz fährt, nur vielleicht etwas ziellos oder in die falsche Richtung oder eben zum Selbsterhalt. Man hat ja immer etwas aufzulösen, das ist schon wahr, aber so kann es schnell bequem werden, in diesem Auflösen zu verharren, statt sich weiter zu bewegen. Wie bei jeder Sucht besteht der erste Schritt darin, sich die Sucht und die eigene Machtlosigkeit (s. die zwölf Schritte) einzugestehen.
Wir sind alle Suchende
So bleiben wir alle Suchende, durstig nach Antworten auf unsere Fragen, die wir meist nicht einmal klar formulieren können. Tief im Inneren weiß jeder aber, dass er sucht. Und irgendwo noch weiter tiefer muss das Vertrauen versteckt sein, es doch noch zu finden. Wie ein unsichtbarer Motor treibt es uns an, über Umwege, über destruktive Muster, über Verluste, aber auch über Erkenntnisse und über Freuden des Daseins, so oder so aber immer auf das Ziel zu.
Fragen zum Nachforschen und Ergründen
- Bin oder war ich süchtig? Wonach? Wann fing die Sucht an? Wie endete sie, falls sie endete? Wurde sie durch eine neue Sucht abgelöst? Was ist es, wonach ich in Wirklichkeit suche? Wie sehr beeinträchtigt meine Sucht mein Leben, meine Beziehungen und meine Gesundheit?
- Bin ich bereit, mich auf die wahre Suche zu begeben? Was müsste ich dafür tun?
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