Von roten Rosen und gelben Tulpen
Inhaltsverzeichnis
- Wer bist du wirklich?
- Ein Beispiel aus der Praxis
- Was geschieht, wenn man sich selbst nicht entspricht?
- Es ist keine Frage der Wertigkeit
- Das Potential und die Hoffnung sind immer da und warten darauf gelebt zu werden
Wer bist du wirklich?
Hast du dich schon einmal gefragt, wer du wirklich bist? In meiner therapeutischen Praxis ist es DIE Frage. Häufig greife ich auf eine Auto-Metapher zurück. Also, wenn du ein Auto wärst, welches Modell bist du wirklich? Ganz unabhängig davon, welches du tatsächlich fährst oder welches du in deinen Träumen gern wärst. Bist du ein Sportwagen? Oder ein Geländewagen? Oder ein Trecker? Oder eine Familienkutsche? Die Zuordnung ist wertfrei. Kein Wagen ist besser als die anderen. Vergleiche sind fehl am Platze. Jeder ist wertvoll und hat seine Stärken, Schwächen und Einsatzmöglichkeiten. Ich vermute, dass viele Menschen gar nicht wissen, was für ein Wagen sie wirklich sind und sich deshalb wundern, warum ihr Leben so anstrengend ist oder warum sie etwas nicht hinbekommen. Häufig neigen sie auch dazu, sich mit anderen zu vergleichen. Wenn ich aber so tue, als wäre ich ein Geländewagen, in Wahrheit aber eine filigrane Pferdekutsche bin und das nicht einmal weiß oder vergessen oder verdrängt habe... Tja... Dann habe ich ein Problem.
Ein Beispiel aus der Praxis
Neulich arbeitete ich mit einer Klientin an einer ähnlichen Fragestellung und statt der Wagen- kam eine Blumenmetapher. Da sie so schön war und Wunder wirkte, möchte ich sie heute mit dir teilen. Wer bist du? Eine rote Rose oder eine gelbe Tulpe? Oder noch eine andere Blume?
In einer Sitzung wählte eine Klientin für ihre Überlebensstrategie (den Ansprüchen genügen, gut sein) die gelbe Farbe. Für ihr wahres Selbst (für den Aspekt „nach eigenen inneren Regeln leben“) wählte sie aber Rot. Übrigens trug sie in der Sitzung viel Rot und auch meine Wahl fiel an dem Tag auf etwas Rotes. Spontan sagte ich zu ihr: „Du hast versucht dein ganzes Leben zu leben, als wärst du eine gelbe Tulpe! Dabei bist du eine rote Rose!“. Sie sah mich verwundert an, ihr Gesichtsausdruck und ihre Körperhaltung veränderten sich und dann sagte sie kraftvoll und selbstbestimmt: „Stimmt! Ich bin eine rote Rose!“ Es gab ihr viel Kraft zurück, machte sie aber auch nachdenklich.
Was geschieht, wenn man sich selbst nicht entspricht?
Was bedeutet es aber, sein ganzes Leben lang versucht zu haben, eine gelbe Tulpe zu sein, wenn man doch eine rote Rose ist? Eine ganze Menge!
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Niemand hat erkannt, dass man eine rote Rose ist... Das ist eine sehr schmerzvolle Erkenntnis. Man wurde nicht als das gesehen, was man ist.
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Man wurde zu einer gelben Tulpe gemacht und erzogen. Und man wurde wie eine behandelt. Was für gelbe Tulpen gut ist, ist nicht zwangsläufig das Richtige für eine rote Rose. Man hat sich verbogen und verfärbt.
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Die rote Rose, z. B. ihre Dornen, machten sich sicherlich ab und zu bemerkbar. Das hat dann für Irritationen gesorgt. Man war selbst überrascht. Oder die anderen Menschen waren irritiert, glaubten sie es doch, mit einer gelben Tulpe zu tun zu haben. Autsch.
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Die rote Rose fühlte sich häufig falsch, inkompetent, dumm usw., hat sie sich doch an die Entwicklungspläne für gelbe Tulpen gehalten oder wurde angehalten, es zu tun.
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Es war bislang noch nicht möglich, sich voll als rote Rose zu entwickeln. Es gibt aber auch etwas Gutes daran: Es ist noch jede Menge Potential da und es ist nie zu spät!
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Gelbe Tulpen fühlen sich wohl in Gesellschaft. Rote Rosen müssen lernen, ihre Einsamkeit zu akzeptieren.
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Wenn man das ist, was man wirklich ist, egal ob eine Rose oder eine Tulpe, ist man per se wertvoll. Auch unabhängig davon, ob man sein Potential bereits lebt oder nicht. Jede Blume ist wertvoll, unabhängig davon, ob sie sich voll entwickelt hat oder nicht. Alleine ihr Potential macht sie wertvoll. Wenn man aber versucht, jemand anders zu sein, kann man gar kein stabiles Selbstwertgefühl haben.
Es ist keine Frage der Wertigkeit
Bitte versteh mich nicht falsch. Ich meine keineswegs, dass eine rote Rose viel besser ist als eine gelbe Tulpe. Das ist keine Frage des Vergleichs. Eine rote Rose hat eben eine andere Grundausstattung, eine andere Ausstrahlung, andere Lernaufgaben... Wenn sie erkannt hat, was sie wirklich ist, heißt es nicht, dass ihr Leben ab jetzt super leicht und easy ist. Sie muss sich aber nicht mehr verbiegen und verfärben. Sie wird sich aber ihren Aufgaben und Herausforderungen stellen müssen, die ganz anders sein können, als sie es sich dachte.
Das Potential und die Hoffnung sind immer da und warten darauf gelebt zu werden
Ich hoffe, dass meine Klientin das Selbstvertrauen und den Mut findet, sich auf ihr eigenes Rosen-Sein einzulassen! Es zu erkennen und anzunehmen war der erste wichtige Schritt.
Bilder:
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