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"Ich will ein besserer Vater / eine bessere Mutter sein als meine Eltern es waren!"

 

Inhaltsverzeichnis

 

Wer kennt diesen Spruch nicht: "Ich will es besser machen als mein Vater / meine Mutter." Wahrscheinlich hat jeder (werdende) Elternteil das schon einmal gedacht oder auch versucht, es in die Tat umzusetzen. Was ist an diesem Vorhaben dran? Wie kommt es überhaupt zustande? Ist es realistisch? Und was sind die Alternativen?

Die Bindung wirkt. Und wie!

Die Voraussetzung für diesen Satz ist, dass die Bindung zu den Eltern noch nicht gelöst worden ist (s. auch den Artikel "Die Bindungen zu den Eltern lösen"). Die Positionen der Eltern dienen immer noch der Orientierung im Erwachsenen-Leben. Das sieht man ja auch an der Formulierung, weil man sich mit ihnen vergleicht. Die Wahrnehmung der Eltern-Position ist dabei kindlich geprägt. In diesem Fall wird sie durch eine Negativbrille gesehen: "Sie haben es schlecht gemacht und mir geschadet. Deswegen will ich es besser machen." Sicherlich hat jeder Mensch solches und solches mit seinen Eltern erlebt: Dinge, die förderlich waren, Dinge, die schlecht und schmerzhaft waren, Dinge, die neutral waren – und all das in sehr unterschiedlichen Anteilen. Eine kindliche Wahrnehmung der Eltern-Position entsteht aber erst dann, wenn 1) einige Gefühle weiterhin aktiv ist, also noch nicht losgelassen worden sind und 2) eine Verallgemeinerung stattfindet. Die typischen Verallgemeinerungen sind entweder eine Idealisierung oder eine Negativprojektion. Bei der Idealisierung werden die guten Dinge in den Vordergrund gerückt und häufig auch die weniger guten als gute umgedeutet (s. Beispiel) und extra verziert. Dann kommen solche abstrakten Sätze heraus, wie z. B.: "Ich hatte eine gute Kindheit." Oder aber es gibt die Negativprojektion: "Das, was meine Eltern gemacht haben, war Scheiße. Ich will das meinen Kindern nicht antun." In beiden Fällen stecken hinter diesen Verallgemeinerungen Wut, Hass, Angst und Groll.

Im therapeutischen Prozess ist es übrigens schon ein Erfolg, wenn ein Klient von der Idealisierung in die Negativprojektion wechselt, denn Letztere öffnet Türen zur Wahrnehmungskorrektur, was die Idealisierung niemals vermag. Das Wutgefühl, die Vorwürfe und die Schuldzuweisungen sind durchaus authentisch, auch wenn sie dem aktuellen erwachsenen Stand nicht mehr entsprechen. Aber so sind wir Menschen: Wir haben erwachsene Anteile in uns und dann auch wieder solche, die noch nachreifen müssen. Um Letztere zu verdecken, errichten wir gern Denkmäler in Form von Fremd- und Selbstbildern und starren Konzepten. Wer als Mutter oder Vater wirklich das Bestmögliche will, muss diese scheinbar in Stein gemeißelten Denkmäler zum Einsturz bringen. Das geht nur über das Auflösen der Bindung, denn: Solange diese Bindung wirkt, gibt es für den Menschen keine Möglichkeit, sich eine Alternative zum Vergleich mit den eigenen Eltern in ihrem Elternsein aufzubauen. Dabei ist die Lösung an sich einfach.

Die Lösung

Wir spulen an dieser Stelle etwas vor, was ich auch in therapeutischen Prozessen manchmal mache, und begeben uns direkt in die Lösung. Wenn man die Lösung kennt, bereits Kontakt mit ihr hat, fällt die Klärung bzw. der Weg zur Lösung auch leichter.

Die Lösung besteht darin, sich selbst als Mittelpunkt zu setzen und nicht die Eltern. Es geht dann nicht mehr darum, ein besserer Vater oder eine gute Mutter zu sein, sondern einfach Vater oder Mutter. Wenn Klienten in dieser Lösungs-Energie stehen, sagen sie ausnahmslos: "Ich bin Mutter / Vater." Und nicht: "Ich bin eine gute Mutter / ein guter Vater." Die Elternenergie ist wertfrei. Sie entspricht sich selbst. Ein Mensch, der gut mit sich selbst verbunden ist, kann sich dann auch in der Mutter-/Vater-Rolle diese Selbstverbindung aufrechterhalten (Jedenfalls meistens. Immer kann das kein Mensch!), und so die Übereinstimmung mit sich selbst als Referenzpunkt für sein Handeln, auch in der Mutter-/Vater-Rolle, setzen. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man versucht, das echte oder vermeintlich schlechte Handeln der Eltern als Referenzpunkt zu setzen und es zu verbessern. Das ist nämlich ganz schön anstrengend, kostet also Kraft. Wenn Kraft aufgebraucht wird, stürzt man automatisch in alte Muster und landet genau da, wo man keinesfalls landen wollte: in den alten Verhaltensmustern. Eine Klientin von mir hoffte, wie auch viele Eltern, DAS Buch zu finden, das ihr klar und deutlich in Form einer Anleitung aufzeigt, wie man eine gute Mutter ist. Es war eine illusorische Hoffnung: "Ich brauche nur einer Anleitung zu folgen und werde dadurch meinem Kind eine gute Mutter." Dass das alles andere als selbstverbunden und empathisch ist, erkennt der Leser sofort. Übrigens ist es auch keine echte Lösung, ganz auf eigene Kinder zu verzichten, weil man die Fehler ihrer Eltern nicht wiederholen will. Das ist keine freie Entscheidung pro oder contra Kinder, sondern sie hat ihren Referenzpunkt wieder bei den Eltern und nicht bei sich selbst.

Die Lösung lässt sich noch weiter vertiefen: In der Praxis arbeite ich mit den archetypischen Mutter- und Vaterenergien. Sie sind sozusagen perfekte Eltern, die natürlich auch eng mit der universellen Liebe und mit dem universellen Schutz verbunden sind. Sie lassen sich auch nicht beschreiben und es geht auch nicht darum, was sie konkret tun oder nicht tun. Entscheidend ist, wie immer, das Wie. Und wie sich ihre Energie anfühlt. Eine methodische Möglichkeit besteht also darin, eine Klientin mit diesen Energien in Kontakt kommen, sie buchstäblich diese Energie tanken zu lassen, wie neulich geschehen. Der besagten Klientin fielen einige Fragen zum Elterndasein ein. So fragte sie sich z. B., wie sie in der oder der Situation handeln könnte. Statt die Frage selbst zu beantworten (keine gute Idee!) oder sie aus ihren alten starren Konzepten des guten Eltern-Seins schöpfen zu lassen, um sie im nächsten Schritt zu widerlegen, ließ ich sie die Frage stellen und anschließend die Position wechseln. Sie nahm dann, je nach Frage, die Mutter- oder die Vaterenergie ein, verband sich damit und beantwortete damit die Frage. Bezeichnend war, dass ihre Worte in diesem Fall klar und präzise waren. Die Sätze waren prägnant und alles andere als ausschweifend und erklärend. Sie wirkte selbstsicher. Alles war selbstverständlich. In diesem Moment waren ihre psychischen Begrenzungen, z. B. bestimmte Ängste und Gedankenkonstrukte, ausgeschaltet. Auch, wenn sie selbst noch nicht im Ziel war, konnte sie die Zielenergie bereits mitnehmen und anfangen, sie in ihr Leben zu integrieren. Das gab ihr Sicherheit, die sie vergebens versuchte in intellektuellen und emotionalen Konzepten zu finden. Dabei war die Lösung, wie das so für gute Lösungen typisch ist, rein energetischer Natur.

Der Anspruch!

Übrigens verhindert häufig der eigene Anspruch die oben beschriebene einfache Lösung. Waren die eigenen Eltern unempathisch, so will man seinem Kind gegenüber besonders empathievoll sein. Die Vorstellung, dass man ständig auf Sendung und im Empathie-Modus sein kann, ist unrealistisch. Die "gut genuge Mutter" (Der Begriff "the good-enough mother" stammt von Donald W. Winnicott) sorgt für eine sichere Bindung, indem sie in ca. 35% der Situationen voll auf das Kleinkind eingestimmt ist. Es sind NUR 35%. Der Anspruch besagt aber etwas von 80-90%. Das ist energetisch betrachtet menschenunmöglich und fühlt sich für das Kind sicherlich übergriffig an. Stellen Sie sich vor, da ist ständig jemand mit seiner Aufmerksamkeit bei Ihnen. Er versucht zu erfühlen, was in Ihnen vorgeht und was Sie brauchen. Ein Grauen ist das. Für einen Erwachsenen sowieso. Aber auch ein kleines Kind braucht seinen Freiraum und energetische Zonen, die von anderen nicht besetzt werden. Allein das Wissen um diesen Zusammenhang kann einiges an Entspannung und Erleichterung für jemanden bringen, der sich diese hohe Last des guten Eltern-Seins aufbürden wollte oder bereits aufgebürdet hat.

Die unangenehme Seite des Ganzen: narzisstischer Missbrauch, Profilierung, Überheblichkeit.

Kommen wir jetzt zu den ganz unangenehmen und verdrängten Seiten des ganzen Konstrukts, das diesen Satz vollbringt.

  1. Narzisstischer Missbrauch
    So wie man als Kind für emotionale Bedürfnisse der Eltern benutzt worden ist, dieser Zusammenhang versteckt sich häufig hinter der Wut, den Vorwürfen und dem Groll, so wird man mit der Einstellung, besser als Elternteil sein zu wollen, genau dasselbe tun. Denn es geht bei diesem Satz nicht um das Kind, sondern um das eigene Selbstbild. Man will sich als guter Vater und gute Mutter sehen oder jedenfalls besser als die eigenen Eltern das waren. Um das Kind geht es hier keinen Deut. Es ist praktisch nur dafür da, dieses Selbstbild zu bestätigen: "Seht her, wie empathisch ich zu meinem Kind bin!" Jemand, der wirklich empathisch ist, braucht keine Bestätigung dafür.
  2. Profilierung
    Es geht also, wie bereits erwähnt, um das eigene Selbstbild. Man profiliert sich auf Kosten des Kindes, aber auch auf Kosten der Eltern.
  3. Überheblichkeit
    Das Ganze ist natürlich zutiefst überheblich. Man stellt sich über die Bedürfnisse des Kindes, um das Selbstbild einer guten Mutter oder einer, die versucht, es besser zu machen, zu bestätigen. Man stellt sich auch über die eigenen Eltern, indem man über sie urteilt. Man will aber das keinesfalls wahrhaben, denn man will ja gut oder besser sein. Jedes Urteil ist aber bereits eine Anmaßung. Mit jedem Urteil fängt schon die Überheblichkeit an. Also, runter vom Podestchen!

Auf den Boden der Tatsachen kommen

Der Ausbau der Selbstverbindung und der Abgleich mit den archetypischen Elternenergien sind also der erste Schritt. Anschließend oder parallel dazu geht es darum, die Bindungen zu den Eltern zu lösen. Das ermöglicht daraufhin die Konfrontation mit den eigenen inneren Kind-Anteilen, die wütend, unterversorgt, bedürftig, voller Hass oder Groll, verzweifelt, einsam oder auch beschützend-zudeckend, loyal, harmoniesüchtig usw. sind.

Sind einige von diesen Anteilen integriert, wird es einem auch immer leichter fallen, die Eltern-Rolle auszufüllen und sich noch besser mit der archetypischen Eltern-Energie zu verbinden. Der Kreis schließt sich. Überhaupt wird die Eltern-Rolle von vielen Menschen als so kräftezehrend empfunden, weil sie im Kontakt mit ihrem Kind ständig oder häufig (unbewusst) ihre inneren nicht-integrierten Kind-Anteile unterdrücken müssen. Jede Unterdrückung kostet enorm Kraft. All diese Anteile aufzuspüren und zu integrieren ist ein längerer Prozess und er gelingt am leichtesten, wenn man ein Kind hat, das automatisch die Hinweise dafür liefert. :-)

Kinder sind bekannt dafür, genau die richtigen Knöpfe drücken zu können. Entwicklungstechnisch sind sie auch dafür da. Es ist kein Zufall, welchen Menschen man als Kind bekommt. Man bekommt immer genau den richtigen. Und auch als Kind hat man genau die richtigen Eltern im Hinblick auf das, was man als Lernaufgaben mitbringt. A perfect match!

Die inneren Kind-Anteile können also, nachdem die gröbste Arbeit zwecks Selbstverbindung und Verbindung mit den Eltern-Archetypen erledigt ist, nach und nach integriert werden. Dafür können Sie jede Situation nutzen, in der sie von Ihrem Kind angetriggert werden. Es ist natürlich auch möglich, andere Trigger-Situationen dafür zu nutzen oder die Kind-Anteile im Rahmen der Traumverarbeitung zu integrieren. Und so wird man automatisch der beste Vater oder die beste Mutter, die man in diesem Moment sein kann. Schuldgefühle ade! Dass man ab und zu mal aus der Elternposition in die unerlösten Kindanteile oder in die Schutzmuster gerät, nimmt man gelassen zur Kenntnis und betrachtet das als Teil des eigenen Lern- und Entwicklungswegs.

Fazit

Um auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen, ist es also notwendig, all die inneren Kinder wieder zurückzuholen. Das ist erst dann möglich, wenn man als Erwachsener die unbewussten kindlichen Bindungen zu den Eltern gelöst und sich befreit hat, z. B. in Form eines Cutting-Rituals zu Hause oder in der Praxis. Erst das Auflösen der Bindungen lässt die inneren Kinder frei oder freier sprechen. Davor wurden sie durch die Familienloyalität, die Schweigegelübde und andere Tabus und die Schuldgefühle bei jedem Befreiungsversuch unterdrückt. Vielleicht drückten sie sich auch nur körperlich aus, in Form von Krankheit oder Übergewicht. Jetzt kommen sie endlich zum Zuge und müssen angehört werden. Darauf folgt die Eingewöhnungsphase, denn der heutige Erwachsene und das jeweilige innere Kind sind sich häufig etwas bis sehr fremd. Fremdeln ist natürlich für Kinder und so müssen sich die beiden erst aneinander gewöhnen. Parallel dazu kann der Erwachsene sich immer besser mit den archetypischen Mutter- und Vater-Energien verbinden und sie auch mühelos im Alltag ausfüllen. Wo das Mühelose schwindet und die Anstrengung sich breit macht, sammelt der Erwachsene das als Hinweise für weitere Kind-Anteile, die darauf warten, endlich wieder dazugehören zu dürfen.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Trage ich dieses Vorhaben in mir, ein guter / besserer Vater oder eine gute / bessere Mutter zu sein in mir? Wie sehr bin ich damit identifiziert? Kann ich mir mein Leben ohne diese Einstellung vorstellen?
  • Warum bin ich überhaupt Mutter / Vater geworden? Was erhoffte ich mir davon? Um welche Bedürfnisse ging es?
  • Wo wirken noch die unsichtbaren Bindungen zwischen mir und meinen Eltern? Wo werde ich von meinen Kindern angetriggert? Bin ich bereit, mir anzusehen, was hinter diesen Triggerpunkten steckt, um meine abgespaltenen oder verdrängten Kind-Anteile wieder in meine bewusste Ich-Struktur zu integrieren?

 

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Bildnachweis:
Bilder von KELLEPICS / Pixabay