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"Anderen etwas abnehmen" – Muster und Lösung

 

Inhaltsverzeichnis

 

Anderen Menschen etwas abzunehmen ist ein klassisches, meist unbewusstes Muster, indirekt für sich zu sorgen, das auf Dauer ziemlich krank machen kann. Hierbei geht es nicht darum, jemandem bewusst zu helfen, z. B. Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten oder in einem Notfall zu unterstützen oder einen bewussten Gefallen zu tun, sondern darum, einen unbewussten Liebesdeal einzugehen: "Wenn ich dir etwas abnehme, dann geht es dir besser. Und dann geht es mir auch besser."

Ursprung des Musters

Der Ursprung dieses Musters, das unglaublich weit verbreitet ist, liegt in der frühen Kindheit, bei manchen Menschen sogar schon vorgeburtlich. Hatte man als Kind die (unbewusste) Wahrnehmung, dass die Mutter emotional instabil und überlastet war, so hatte man zwei Möglichkeiten: von seinen Bedürfnissen etwas oder auch ein ganzes Stück zurücktreten, um die Mama nicht zu belasten, oder weiter auf die Erfüllung der Bedürfnisse pochen. Die beiden Optionen wirken oberflächlich betrachtet gegenteilig, in beiden Fällen passiert aber Folgendes: Das Kind macht eine unbewusste Rechnung: "Wenn ich der Mama etwas von ihrer Last abnehme, geht es ihr besser. Und dann kann sie sich zumindest etwas um mich kümmern." Nun, das ist besser als nichts! Allerdings entstehen hier einige Probleme (s. auch den Artikel "Wie Spaltung in die Überverantwortung führt: zu viel Verantwortung für andere übernehmen").

Symptome

Die Symptome bei Übernahme fremder Lasten können vielfältig sein. Einige Menschen entwickeln einen hohen Anspruch, werden sehr ehrgeizig, sehr perfektionistisch. Andere schuften für zwei und manchmal sehen auch, gewichtsmäßig, wie zwei Menschen aus. Rückenprobleme, besonders im oberen Bereich, und Schulterprobleme sind weit verbreitet. Der Rücken trägt uns ja durchs Leben und wenn wir da zu viel und v. a. Fremdes aufladen, ist es ihm zu viel. Er fängt an, sich zu krümmen. Auch mit den Schultern können wir eben nicht alles schultern. Und die bereits erwähnte Überverantwortung, häufig auch getarnt als Sorge bzw. "Liebe" um jemanden. Oder umgekehrt, die Sorge, dass sich jemand in den eigenen Bereich einmischen könnte. Oder Sie sind topfit. Auf einmal kommt eine träge Socke angeschlurft und auch Sie fühlen sich plötzlich totaaaal müde. Vielleicht sind Sie auch zu einem Magneten für die Sorgen und Befindlichkeiten anderer geworden? Kaum sind Sie mit jemandem im Gespräch, fängt Ihr Gegenüber an, Ihnen sein Leid zu klagen. Sie hören mitleidig zu. Danach sind Sie erschöpft. So haben Sie Ihrem Gegenüber etwas abgenommen, ihm aber keinen Gefallen getan, denn entwickelt hat sich dieser Mensch dadurch nicht. Und sich selbst haben Sie belastet und überfordert. Die Empfehlung lautet immer: Grenzen setzen! Nun, die kann man sehr leicht setzen, wenn sie innerlich etabliert sind: Da kann auch niemand etwas abladen. Das sind sie bei diesem Muster nun mal nicht. Sie müssen schon zuerst das mit den Lasten wieder ins Lot bringen. Dann etablieren sich gesunde Grenzen fast wie von alleine.

Eigene Lasten stärken, fremde Lasten schwächen

Die psychologische Grundregel besagt also, dass fremde Lasten nur schwächen können. Der Deal scheint erst einmal zumindest ein bisschen aufzugehen. In Wahrheit tut er das nicht. Wer fremde Lasten trägt, und das tun viele Menschen, was man an ihren krummen Rücken sieht, schwächt sich selbst und auch denjenigen, dem er die Last aus "Liebe" abgenommen hat. Wer, wenn auch unbewusst, seine Lasten von jemand anders durchschleppen lässt, kann nicht in seiner Kraft sein. Denn wir bekommen nur Kraft für Eigenes, z. B. für das Bearbeiten und Erlösen der eigenen Lasten und Themen.

Rückgabe der fremden Lasten

Ist der Zusammenhang bewusst geworden, steht die Rückgabe der fremden Last an. Rein kognitiv reicht es leider nicht; dafür genügt ein Ritual. Das System muss auf der Symbolebene verstehen, dass die Last zurückgegeben worden ist. Es ist eine typische Aufstellungsarbeit. Und so kann der Klient z. B. seiner Mutter die Last, durch einen Stein repräsentiert, zurückgeben. Die meisten Eltern-Repräsentanten reagieren übrigens entsetzt, wenn sie sehen, dass ihr Kind etwas für sie trägt. Sie wollen das nicht und sie wollen den Stein zurück. Selten kommt es vor, dass sie das Kind weiter belasten wollen. Hier muss das Kind hartnäckig bleiben. Nach dem Ritual fühlt der Klient Erleichterung, manchmal sogar absolut körperlich, so, als wäre man leichter geworden. Manchmal knackt es sogar irgendwo im Körper, z. B. im Rücken, weil Spannung abgebaut worden ist und mehr Energie durch das System fließt. Der Mensch wird gerader.

Natürlich kann die Rückgabe auch mithilfe der inneren Bilder genauso gut erfolgen. Es geht sowohl in Begleitung als auch alleine.

Achtung! Wiederholungsgefahr!

Wer jemandem etwas abgenommen hat, wird dazu neigen bei anderen etwas abzugeben, z. B. bei den eigenen Kindern, beim Ehepartner, bei den Untergebenen oder bei seinen Schülern. Haustiere sind dafür auch äußerst "beliebt" und tragen unbewusst sehr viele Lasten für ihre Besitzer. Achten Sie also bei Ihrer inneren Arbeit auch darauf, Ihr eigenes, das Sie unbewusst von anderen haben tragen lassen, wieder zurückzuerlangen.

Rückgabe von Fremdlasten mit Partner

Wer für seine innere Arbeit einen Partner hat, kann die Lastenrückgabe mit ihm durchführen. Das kann ein Freund sein oder auch der Lebensgefährte. Wichtig ist, dass man mit diesem Menschen diese Art von Arbeit vereinbart und man das Gefühl hat, das gäbe es etwas zurückzugeben. Zur Rückgabe muss ich noch Folgendes sagen: Die Abnahme war zu einem bestimmten Zeitpunkt sinnvoll und das kleinere Übel. Nun entwickeln wir uns alle weiter, und was gestern passte, ist heute vielleicht nicht mehr stimmig. Da gilt es genauer hinzusehen und das Nicht-mehr-Brauchbare loszulassen bzw. an den Eigentümer zurückzugeben.

Mit dem Partner gibt es die Möglichkeit, es etwas Freestyle zu gestalten. Man geht dafür durch das Zimmer oder sogar durch die gesamte Wohnung und nimmt sich alle Gegenstände, die einen anfunkeln. Diese wird man dann zurückgeben. Der Partner macht das auch. Anschließend fängt einer intuitiv an. Der Sinn der Gegenstände ergibt sich dann von alleine. Es ist wie bei einer Aufstellung: Die Worte, die Inhalte, die Gefühle kommen einfach. Man lässt es geschehen. Und so gibt man Dinge ab, die einem nicht gehören, eines nach dem anderen ab, stärkt auf diese Weise die psychischen Grenzen (die eigenen und auch die zum Partner) und stärkt auch die Beziehung bzw. aktualisiert diese.

Überforderung, Überheblichkeit und Identität

Es spricht also so vieles dafür, endlich die Fremdlasten abzugeben. Und trotzdem weigern sich viele Menschen, wenn auch unbewusst, es zu tun. Warum eigentlich?

Zum Einen stellt sich hier die Frage nach der Identität: "Wer bin ich wirklich, wenn ich mich nicht als braves Familien-/Gruppenmitglied identifiziere und nichts mehr für andere trage? Was bleibt dann?" Vielleicht kommt dann noch die (verständliche) Angst dazu, den wirklich eigenen Weg zu gehen, der so anders sein kann als der, den man bislang kannte. Dann doch lieber beim Alten Bekannten bleiben. So schlimm seien die Symptome wohl nicht. Und so kann die Überforderung mit einkalkuliert und tief in das eigene Selbstverständnis eingraviert sein: Man sieht sich als stark, belastbar. Man könne etwas, was andere nicht können. Man sei besonders. Das ist natürlich unglaublich überheblich. Im wahrsten Sinne des Wortes überhebt man sich. Runter vom Podestchen ist einerseits eine Erleichterung, andererseits aber auch eine Zurechtstutzung: Man steht nicht mehr über den anderen. Man ist nicht mehr stärker, größer, mächtiger, wichtiger, besser als sie. Überhaupt dieses Gut-Sein... das ist der Schlüssel zur Auflösung dieses Musters: Bin ich also bereit, auf diese Über-Heblichkeit zu verzichten und die Belohnungskrumen, die daraus resultieren, zurückzuweisen? Die Belohnungskrumen bestehen aus ein bisschen Liebe und Gutmenschen-Selbstverständnis. Für den Verzicht winken aber wahre Liebe, gute Grenzen und deutlich bessere Beziehungen. Nach einer Phase, in der sich alles mehr oder minder neu zurechtruckeln muss. Sind Sie bereit? Es ist Ihr Leben und Ihre Wahl!

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Wie viele Lasten trage ich noch für andere? Um das zu ermitteln: Gehe in meditative Haltung und lass es dir symbolisch anzeigen.
  • Inwiefern schwächen mich diese Lasten? Inwiefern verleihen sie mir ein Gefühl von Stärke, Gut-Sein, Dazugehören?
  • Bin ich bereit, sie abzugeben?
  • Habe ich bei jemand anders etwas abgeladen? Bin ich bereit, es wieder an mich zu nehmen?

 

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Bildnachweis:
Bild von Tomasz Hanarz auf Pixabay